Ein Hoch auf ein Würschterl. Ich erhebe mich aus meinem ÖBB Business Class Thron und stapfe in den Speisewagen. Am Vierer-Tisch ist noch ein Platz frei. Gemächlich bestelle ich ein Paar Sacherwürstel und eine Miniflasche Chardonnay, die zwei erfolgreichen Arbeitstage in Vorarlberg gehören begossen. Bumvoller Speisewagen, alle unterhalten sich köstlich, ich vertreibe die Wartezeit auf die Leckereien mit Stöpsel im Ohr und Zeit im Bild am Smartphone.
„Einen Chardonnay bitte“ höre ich die weit übertönende Stimme am Nebentisch selbst durch die Stöpsel bestellen. „Tut mir leid, der Herr hier hat soeben die letzte Flasche bestellt“ tönt es durch die AirPods hindurch.
„Der Heischreck neben da Schönheit sauft uns ollas weg!“ höre ich es ebenfalls durch die Ohrstöpsel. Ich schaue zu ihr nach rechts und zu ihm nach links. Das Gespräch ist eröffnet.
Er nimmt sein Telefon zur Hand und diktiert hinein: “Aktennotiz Dr. Johannes Brunner. Er bestellt Chardonnay. Ich bekomme keinen mehr. Die Schönheit neben ihm hat es mir angetan.“ Vertonte Deix-Figur. Er gibt der schwarzen österreichischen Seele seine Stimme.
Eigentlich wollte ich nur Hunger & Durst stillen gehen. Nun bin ich mitten in einem skurrilen Film. Elisabeth T. Spira hätte ihre wahre Freude an dieser geballten feucht fröhlichen Ausgelassenheit, die mit knapp über 300 Sachen durch die kühle Alpennacht zischt. Heurigenatmosphäre goes Railjet.
Ich frage die 3 Personen an meinem Tisch, wer Dr. Johannes ist und wer sie sind. Ich erfahre, dass hier niemand niemanden kennt. Offiziell. „Seit Zürich im Zug“ verlautbart die Schönheit neben mir. „Erst in Bregenz zugestiegen“ offenbart ihr geglaubter Reisepartner. „I bin a Soizburger am Weg nach Wien“ verkündet Gerhard. „Und obendrein Sommelier!“
„A Sommelier der Bier sauft!“ tönt es schallend vom verachtenden Tisch nebenan. „I mog di“ schiebt Dr. Johannes die Versöhnung nach.
„Das heißt, ihr kennt euch alle gar nicht?“ frage ich verwundert.
„Kennst du dich überhaupt selbst?“ fragt mich der Heuschrecken-Nenner mit einem Touch von Philosophie.
Nochmals: Ich wollte eigentlich nur eine Kleinigkeit essen, was trinken, und Nachrichten schauen. Plötzlich: Sozialer Brennpunkt Speisewaggon im Zug von Zürich nach Wien.
Und irgendwie genieße ich es. Keine Smartphones, die unsere Aufmerksamkeit saugen. Kein Social Media, auf dem wir irgendetwas posten müssen. Sondern echte Menschen mit echten Begegnungen. Mit echter Überraschung und echter Tiefgründigkeit. I like.
© Klaus Rafenstein 2024-04-26