Am Ende Ihres seltenen Gespräches standen ihre Tassen gänzlich leer vor ihnen. Auch im Café waren sie die einzigen, die noch an ihrem Tisch saßen. Um diese Jahreszeit wurde es zwar schon merklich später dunkel, doch allmählich neigte sich die schon tief stehende Sonne dem Horizont entgegen.
Der Tod richtet ein letztes Mal sein Wort an seinen alten Freund: “Danke für dieses seltene, doch wohltuende und aufschlussreiche Gespräch. Bevor sich unsere Wege wieder für eine unbestimmte Zeit trennen, habe ich noch eine letzte Frage an dich. Kannst Du Dich im Spiegel anschauen und zu Dir sagen, dass Du gut genug bist? Also trotz allem, was du bereust, was du anders machen würdest, wenn du könntest. Trotz deiner getanen oder unterlassenen Taten. Wärst du in der Lage, dir selbst zu glauben?”
Das Leben war sichtlich erstaunt über diese letzte Frage. “Also meinst du, ob ich mir selbst verzeihen kann, wer ich war, und mir zu glauben, dass ich trotz meiner Unvollkommenheit gut genug bin? Gut genug wofür oder wen?” Fragte das Leben den Tod verwundert: “Nicht gut genug für etwas oder jemanden, sondern gut genug für dich selbst. Kannst du dir selbst genug sein, reicht es dir, wenn du deiner Selbstwillen deinen Ansprüchen genügst?” Entgegnete der Tod energisch.
“Oh mein lieber Freund” begann das Leben traurig, “Du bist dir dein schlimmster Feind, weist du das? Ich spüre, dass du die Verantwortung für diese Feindschaft an mich oder die Welt abgeben möchtest. Doch diese Verantwortung kann weder ich noch die Welt für dich übernehmen. Keiner außer dir selbst kann die weiße Flagge für dich hissen und dir als Freund begegnen. Nicht mal ich vermag es, dir das abzunehmen. Du hast heute so oft danach gefragt und ich habe dir die Antworten gegeben, die ich dir geben konnte. Ich versuche dir stets ein guter Freund zu sein, doch solange du dich selbst bekriegst, glaubst du mir kein Wort. Solange du dich meiner Worte versperrst und meine Hilfe abweist, wirst du dich weiter zerstören.”
Der Tod dachte eine halbe Ewigkeit über die schmerzhaften Worte seines Freundes nach und überlegte, wie es diesen entgegnen sollte. Sollte er den Spieß umdrehen und dem Leben die gleiche Frage stellen? Sollte er diese Worte unkommentiert lassen, sich einfach verabschieden und seinem Freund alles Gute wünschen? Sollte er wütend aus dem Café stürmen und hinter sich die Türe mit einem harten Ruck schließen? Nachdem er verschiedene Möglichkeiten der Reaktion in seinem Kopf durchgespielt hatte, setzte er zu seiner Antwort an: “Hilfst du mir, die weiße Flagge zu hissen?”
© Katharina Müller 2025-06-19