Höhe

Franz Hölzl

by Franz Hölzl

Story

Mit weichen Knien stehe ich in der Fahrstuhlkabine, in der ich mich hundertfach spiegle. Trotz meiner Heidenangst vor Höhe will ich mich diesem Irrsinn stellen, der unbestritten mit Todessehnsucht verbunden ist. Wie kann man bloß freiwillig aus einem intakten Flugzeug aussteigen wollen?

Larissa schnappt sich meinen Rucksack und wirft ihn in den Kofferraum. »Komm, steig ein.« Die Heckklappe fällt von alleine zu, als wir mit quietschenden Reifen losfahren. »Was ist? Du wirkst etwas bleich.« Kein Wunder, bei dem, was mir bevorsteht.

Am Flugfeld wird sie von den Kollegen ihres Clubs warmherzig begrüßt, ich hingegen professionell freundlich. Ihre eingeschworene Clique weiß, dass es für die meisten bei einem einmaligen Ereignis bleibt. Bei der Unterweisung werde ich unter einem breiten Grinsen darüber aufgeklärt, dass mir die Landung während des Sprunges erklärt wird.

Das Dröhnen der Motoren und der schwankende Steigflug verstärken das flaue Gefühl in meinem Magen. Die anderen Gastspringer werden ruhig, kein alberner Spruch mehr. Durch die Bullaugen bestaune ich je nach Lage der Maschine das atemberaubende Licht der Abendsonne, den immer kleiner werdenden Flugplatz oder das immer größer werdende Panorama.

Es ist so weit. Die Maschine geht in den Horizontalflug über. Larissa verschwindet, wie auch die anderen Solospringer, augenblicklich im scheinbaren Nichts. Ich bewege ich mich mit meinem Tandemmaster zum Ausstieg hin und kann es nicht glauben, dass ich das wirklich mache. »Jetzt die Brille, wir springen auf Drei.« Pure Angst. Meine Nerven liegen blank und sämtliche meiner Muskeln sind zum Zerreißen gespannt. Mein ganzer Körper pulsiert und pocht. »Eins, zwei…«, und schon befinde ich mich im freien Fall. Ich schreie mir die Seele aus dem Leib und halte meine Augen weit geöffnet, komme, was möge. Ich spüre und fühle alles und nichts. Ich werde in die Gurtbänder gepresst. Der Schirm hat sich geöffnet. Das ruhige Herabgleiten wird aber von artistischen Einlagen meines Sprungpartners unterbrochen, die mir den Eindruck von Schwerelosigkeit vermitteln; ein einzigartiges Gefühl ohnegleichen.

Die Landung geht einwandfrei vonstatten. Ich spüre wieder festen Boden unter mir. Eine Wohltat. War das gerade der größtmögliche Kontrollverlust, den ich je erlebt habe, und der größte Vertrauensmoment, den ich je einem »Fremden« entgegengebracht habe?

Viel zu schnell ist alles vorüber, bevor ich realisiere, was soeben passiert und in mir vorgegangen ist. Rücklings lasse ich mich in das Feld neben dem Landeplatz fallen. Berauscht von einem Glücksgefühl schaue ich den anderen Springern zu. Wie leicht das doch von hier unten aussieht.

»Gut gemacht, ich bin echt stolz auf Dich.« Sie hatte es mir nicht zugetraut, dass ich mich meiner Angst stelle. Ich auch nicht. Mit ihrem Zeigefinger tippt Sie auf meine Stirn und fragt mich, ob sich mein Kopf jetzt nicht viel freier anfühlt. »Ich habe keine Ahnung, wie ich mich fühle.«

© Franz Hölzl 2020-03-30

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