Ich habe es schon öfter gemacht. In Rom. In Berlin. In London und Paris. In Wien? Nein, da noch nicht. Warum sollte ich in Wien eine Stadtführung machen? Da bin ich zu Hause. Da kenne ich mich aus. Oder etwa nicht?
Meine Freundinnen und ich ziehen mit Stefan, dem Wien-Entdecker, um die Häuser. Also eher durch die Häuser und die Höfe im ersten Bezirk. Wir starten im Hof vom Haas&Haas Teehaus beim Stephansdom. Den kennen wir, denn dort kann man hervorragend frühstücken. Diesen Hof kennt ihr wahrscheinlich, sagt Stefan. Aber ab jetzt wird es unbekannt. Er hat recht. Unbekannt, interessant, wunderschön und grün.
Deutschordenshof: Hier hat Mozart 2 Monate gewohnt. Dann wurde er mit einem Arschtritt (Zitat Mozart) auf die Straße befördert. Die Sala Terrena, der angeblich kleinsten Konzertsaal Wiens mit 45 Plätzen, befindet sich auch hier.
Franziskanerviertel: Alter Domprobsthof – ein Haus, das Künstler anzieht. Helmut Leherbauer, besser bekannt als Maitre Leherb, hat hier gewohnt und den Hof samt Brunnen gestaltet. Auch Curd Jürgens hat hier gewohnt. Und André Heller hat heute hier ein Büro. Der Franziskanerplatz mit der Franziskanerkirche: Im 15 Jh. war hier das Haus der Büßerinnen. Ein ‘Lustdirnen-Resozialisierungsprojekt’ des Mittelalters. Bei Rückfälligkeit stand den Frauen dann allerdings ertränken in der Donau bevor.
Blutgassenviertel: In der Grünangergasse steht das Kipferlhaus. Ein Bäcker soll hier 1683 das Kipferl erfunden haben, um die türkischen Belagerer mit dem halbmondförmigen Gebäck zu foppen. So nach dem Motto ‘Halbmond zum Frühstück’. Im großen Fähnrichhof steht die älteste Platane von Wien. Eine herrliche Ruheoase mitten in der Stadt. Im kleinen Fähnrichhof hören wir über Pawlatschen – außenliegende Holzgänge, über die die einzelnen Wohnungen erreicht werden. Seit dem Ringtheaterbrand 1881 wurde der Neubau von Pawlatschen in Wien aber verboten. In der Blutgasse sollen wir ein Rätsel lösen: Wozu diente der ca. 1 Meter über dem Boden angebrachte eiserne, mit Zacken besetzte Bogen, der eine Ecke zwischen zwei Hausmauern ‘absperrt’? Wir kommen nicht drauf. Es ist eine Vorrichtung, die das Wildpinkeln eindämmen sollte (Stefan nennt es auf gut wienerisch eine Brunzbremse).
Im Durchgang Wollzeile/Bäckerstraße geht es echt zu wie im Durchhaus. Eine japanische Reisegruppe ist auf Wiener- Schnitzeljagd und drängt zu dem bekannten Speiselokal. Der seit einiger Zeit öffentlich zugängliche Hof der alten Universität bei der Jesuitenkirche lädt mit Liegestühlen zum Verweilen ein. In der Schönlaterngasse bestaunen wir die teuerste zum Verkauf stehende Immobilie Wiens. 900 m² Pawlatschenhof über 7 Etagen um gemunkelte 19 Mio. Euro. Und im Heiligenkreuzerhof bewundern wir üppig blühende Rosenbüsche und erinnern uns an Helmut Qualtinger, der hier einst wohnte.
Es war toll, die eigene Stadt mit einem Führer kennenzulernen. Machen wir unbedingt wieder. Aber jetzt: Ab ins nächste Beisl zu Gulasch, Schnitzel und Bier.
© Annemarie Hülber 2025-05-21