Hören

ZeBrisa

by ZeBrisa

Story

Felix wurde auf einer Hollywoodschaukel gezeugt. Zumindest war das die Antwort seiner Mutter, wenn er als Kind nach seinem Vater gefragt hatte. Sie zündete sich dann eine Zigarette an und wuschelte durch seine roten Löckchen, auf denen ein leichter Fettfilm zurückblieb. „Vor der Laube stand das alte Ding, schon ganz morsch, aber der Norbert, den hat das nicht gestört. Abgehauen ist er danach, typisch Mann.“ Viel mehr war nicht aus ihr herauszubekommen. Ihn störte das auch nicht. Seine Freunde erzählten nicht viel von ihren Vätern, und wenn, waren es nicht gerade Geschichten, die ihn neidisch machten.

Nach der kurzen Erzählung seiner Mutter und in besonders ruhigen Momenten fühlte er sich seinem Vater dennoch verbunden, denn dann konnte er das rhythmische Quietschen der Metallaufhängung hören und dachte dann, dass er bereits als Eizelle und Spermium wahrnehmen konnte, wie er entstand. Er wusste natürlich, dass das totaler Unsinn war, eine Art akustischer Halluzination. Trotzdem vermisste er das Geräusch, wenn es sich für eine Weile nicht meldete. Vielleicht war es etwas, was seinem Leben Beständigkeit gab, eine Art Hintergrundrauschen.

Einmal hatte er seinem besten Freund Tim von dem Geräusch erzählt, als der Biounterricht besonders langweilig war. Die Lehrerin, Frau Alver, sprach über Korbblütler und huschte zwischen den Schaubildern hin und her, wobei ihre Brüste lustig wackelten. Warum sie nie einen BH trug, etwa aus rebellischen oder praktischen Gründen, wusste niemand so recht. Tim verfolgte die wogenden Hügel und bekam einen leicht hypnotisierten Blick, als Felix ihm in die Seite stupste. Tim nickte seine Geschichte ab und widmete sich wieder dem Wackelbild. Seine fehlende Reaktion nahm Felix ihm übel, obwohl er auch froh war, nicht als Freak dazustehen.

Die anderen Geräusche in seinem späteren Leben waren lauter, drängten sich unangenehm in den Vordergrund und nahmen ihm jede Konzentration. Erst mit 25 wurde eine akustische Sensibilität festgestellt. Was genau er mit dieser Diagnose anfangen sollte, wusste er nicht. Es erklärte aber, warum er so gerne in der Bibliothek saß und den vorbeifahrenden Schiffen auf dem Fluss zuschaute. Von außen gelangten keine Geräusche zu ihm, wenn er an seinem Lieblingsplatz am Fenster saß und alles ganz klein und dumpf erschien. Er liebte diesen Platz und freute sich schon den ganzen Morgen darauf, mit seinem Bücherstapel um die Ecke zu biegen und im Halbschatten auf die Elbe zu schauen.

Heute war ein Mittwoch, ein guter Tag. Er hatte sich nur leichte Literatur mitgenommen und sah einem entspannten Dahindämmern entgegen, als er sie sah. Alles an ihr war laut. Er zählte allein auf ihren sichtbaren Kleidungsstücken fünf verschiedene Muster. Ihre abgewetzten Kopfhörer pressten ihre lila gefärbten Haare in zwei aufgebauschte Nester. Schon aus der Entfernung wusste er, wie sie riechen, wie ihre nasale Stimme ihn aufreiben würde. Da saß sie, die lauteste Frau – auf seinem Platz der Stille.


© ZeBrisa 2023-05-30

Genres
Novels & Stories