Hotel Mama – wegen fehlender Kunden zu

Johannes Perl

by Johannes Perl

Story

Es war der 16. August 2020. Ich saß im Garten, das Handy in der Hand und schrieb eine lebensverändernde Mail. Eine Mail an den Vermieter meiner ersten eigenen Wohnung.


Die Idee, das elterliche Nest zu verlassen und in die große, weite Welt zu ziehen, entstand aus einer emotionalen Achterbahnfahrt, die in einer Bruchlandung katastrophalen Ausmaßes geendet hatte. Der Wunsch nach Veränderung ließ mich online nach einer Wohnung suchen und diese wurde auch recht schnell gefunden. Eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung, 30 Minuten von zu Hause entfernt und quasi direkt an einem See südlich von Graz.

Und es war dann der 22. August 2020, als ich die Unterschrift tätigte, die diese Wohnung fixierte und ich konnte mich als „Mieter“ bezeichnen. Sofort fing dann das Gehirn zu rattern an. Was braucht man alles für einen Haushalt? Woher bekommt man all das? Ich habe ja nicht mal einen Teller.

Keiner, mich selbst eingeschlossen, zog auch nur im Entferntesten in Betracht, dass ich einmal das Elternhaus verlassen würde. Und doch, im Leben kommt es oft anders, als man es sich denkt. Scherzhaft sage ich immer wieder, mit 28 wird es Zeit, dass ich lerne, wie man eine Waschmaschine bedient. Ein Gerät, das ich noch nicht einmal besitze.

Meine Schwester habe ich in den letzten Wochen regelrecht überflutet mit Möbeln, die ich bei diesem oder jenem Geschäft entdeckt habe. Gefühlt 1000 Nachrichten täglich, jede drehte sich nur um Betten, Kleiderkästen oder Couchtische. Aber sie stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite. Vielleicht eine willkommene Abwechslung, dass es in meinen Nachrichten nicht immer nur um Liebeskummer ging.

Sie war es auch, die mich zur Besichtigung begleitete und mir zusicherte, sie und ihr Mann würden mir beim Siedeln helfen. Eine Hilfe, die ich dankbar annehme.


Nun kann ich die Tage bis zum Umzug fast an einer Hand abzählen. Die Nervosität steigt mehr und mehr. Und das Gefühl, irgendetwas vergessen zu haben. Zwar kommen immer wieder Bedenken auf, dass diese Idee des Ausziehens nur aus einem Kurzschluss heraus entstanden ist, aber je näher der Tag rückt, desto klarer wird es, dass es auch für ein Nesthäkchen irgendwann Zeit wird, sein eigenes Nest zu bauen und sich etwas Eigenes zu schaffen.

Nach fast 40 Jahren schließt also bald das Hotel Mama, weil es keine Kunden mehr hat. Aber sollte es in Zukunft notwendig werden, wird es bestimmt wieder eine Unterkunft bieten können.

© Johannes Perl 2020-10-20

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