Hühner-Meditation

„Hühnerstall verriegeln?“ Das klang gar nicht so kompliziert. Natürlich sagte ich der Nachbarin diesen kleinen Dienst gerne zu. „Du kannst um 21 Uhr mal nachschauen, vielleicht sind sie auch erst eine Viertelstunde später drin.“ Das wäre doch gelacht. Die Hühner meiner Eltern hatte ich abends einfach hinein gescheucht.

21 Uhr, Dämmerung. Erfreut stellte ich fest, dass sich nur noch drei der Damen im Gehege befanden. Vorsichtig versuchte ich sie in Richtung Hühnerstall zu schubsen. Im Nu stoben sie auseinander. Unter dem Apfelbaum, ganz hinten, blieben sie stehen, beobachteten mich skeptisch. Gut, viertel nach hatte die Nachbarin gesagt, diese Zeit sollte ich ihnen noch geben.

Ich setzte mich auf die Holzbank neben dem Hühnerhaus. Mein Blick schweifte über das Hühnergehege hinaus, über die Wiesen und Wälder, bis hinauf zum Aussichtsberg in fast 1800 Metern. Kein Wölkchen zu sehen. Allmählich wurde es dunkler.

Die drei Damen standen nun etwa zwei Meter vor der Stalltüre, genau da, wo sie sich bei meiner Ankunft befunden hatten. Richtige Schönheiten waren sie, viel größer als die normalen Hühner, weißes Gefieder bis hinunter zu den Füßen. Bei der einen hatten sich ein paar wenige graue Federn dazwischen gemogelt, bei den anderen solche in hellem und dunklem Braun. In der Dämmerung wirkten sie wie fluffige, weiße Riesen-Wattebäusche, die sich hierher verirrt hatten. In Minutenabständen machten sie jeweils ein kleines Schrittchen, blieben wieder ruhig stehen. Anders als Mutters nervöse Hennen waren diese durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

Die rustikale Holzbank war noch warm von den Sonnenstrahlen des Sommertages. Weit und breit sah man nur das eine Licht da oben am Aussichtsberg. Ein leichter Windhauch kam vom Wald herunter, angenehm an diesem Sommerabend. Mein Körper entspannte sich, ich genoss jeden Augenblick. Fast bedauerte ich es, als die Hühner pünktlich um 21.15 Uhr den Stall betraten.

Für weniger als zwei Meter hatten sie eine Viertelstunde gebraucht. Da saßen sie nun in ihren Heu-Nestchen oder drängten sich auf dem Holzboden dicht aneinander. Gute Nacht meine Lieben. Ihr seid die allerbeste Abendmeditation.