Ich bin Ella

Ella Strübbe

by Ella Strübbe

Story

Ich bin Ella und mitten in einer Identitätskrise. Denn ich bin eigentlich nicht Ella, ich bin Laura. Das ist mein Name und von dessen Unabänderbarkeit ist die Dame vom Standesamt Steglitz-Zehlendorf überzeugt. “Sie können nicht einfach Ihren Namen ändern. Ihre Eltern haben Ihnen mit Ihrer Geburt Ihren Namen gegeben und damit hat sich die Sache”, sagt sie am anderen Ende der Leitung. Der Unterton in ihrer Stimme überfordert mich. “Warum wollen Sie denn Ihren Namen ändern?”, fragt sie genervt. Ich kann durchs Telefon hören, wie sie die Augen verdreht.

Damit habe ich nicht gerechnet. Ich meine, wir kennen uns nicht, und dass sie mich so aus dem Nichts heraus fragt, warum ich meinen Namen bitte ändern möchte, finde ich, ist nun doch schon eine sehr private Frage. Ich bringe stammelnd ein paar Gründe hervor, sie ist nicht überzeugt: “Wie, sie können sich damit nicht identifizieren und ihre Eltern waren sich bei der Namensgebung uneinig? Das reicht nicht.” Was denn reichen würde, frage ich sie. Meine Stimme zittert vor Unsicherheit. Vielleicht, dass ich aufgrund meines Namens über meine gesamten schulischen Laufbahn hinweg gemobbt wurde? Das reicht nicht: “Sie müssen erklären können, warum Sie für ihre persönliche Weiterentwicklung eine Namensänderung brauchen.”

Stille. Die Frau am Telefon seufzt und fängt an, Dokumente aufzulisten, die ich besorgen soll. Antrag auf amtliche Namensänderung, beglaubigte Abschrift des Geburtenregisters, Führungszeugnis für Behörden, psychologisches Gutachten. Ob ich vor allem letzteres besorgen könnte – ja kann ich. “Gut, ich schicke Ihnen alle übrigen Informationen per Mail zu.” Ihre Stimme klingt wohlwollender, netter. Sie wirkt überzeugter, jetzt wo sie weiß, dass ich in psychologischer Behandlung bin. Ich notiere mir alles weitere auf einem Schmierzettel und bin froh, dass das Verhör nach 20 Minuten zu Ende ist. Gekrümmt sitze ich am Schreibtisch, mein Blick ist leer und ich fühle mich ausgelaugt.

Das Telefonat ist heute schon ein paar Monate her. Ein Großteil meiner Freund*innen nennt mich Ella. Immer mehr Menschen wissen gar nicht, dass ich einmal Laura war. Und doch beschleicht mich oft noch das Gefühl, mich erklären zu müssen. Auf jedes Warum folgen Schweißausbrüche und meist erzähle ich zu viel von meiner traumatisierenden Kindheit und der retraumatisierenden Wirkung meines Vornamens. Warum beuge ich mich diesem indirekten Druck, eine Erklärung abgeben zu müssen? In Berlin trägt jede*r zweite einen anderen Namen und ist gerade in einer Findungsphase. Punkt.

Und ich glaube, irgendwo bin ich der Frau am Telefon dankbar. Denn ihre für Berlin typische Ignoranz hat in mir etwas entfacht. Mit jeder neuen Begegnung werde ich mehr zu der Ella, die ich durch sie in mir gefunden habe. Mit jedem neuen Menschen heilt meine Identitätskrise ein Stück. Ich weiß nicht, wie die Dame vom Standesamt Steglitz-Zehlendorf heißt, aber das hier ist für sie. Danke und Schluss mit dem Begründen!

© Ella Strübbe 2022-02-09

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