Ich bin wieder da

Corinna Hörmann

by Corinna Hörmann

Story

Es wird Zeit. Sogar höchste Zeit! Es ist Zeit. Eine komische Zeit. Zeit zum Schreiben.

Willkommen im Jahre 2021 – ohne Freunde ohne drauĂźen ohne alles. Oder allem? Egal. Ich bin noch da. Mehr als da. Nach Psychiatrie, Kinderkriegen, Lockdown und Heiraten. Immer noch da. Man wird mich nicht los.

Bei mir fing es nicht mit Corona an – leider. Dann wär’s vielleicht nach Corona wieder weg. Oder auch nicht. Keine Ahnung.

Warum bin ich also wieder da? Weil andere mich hören sollen. Oder besser “lesen”. Sie sollen hören, dass man eben nicht alleine ist. Obwohl wir schon alle alleine daheim sitzen.

Aber fangen wir jetzt endlich von vorne an. Jeder hört es, jeder liest es. Therapeuten sind ausgebucht und die Leute werden im Lockdown depressiv. Wen wundert’s? Mich nicht. Ich kann’s wohl am besten nachvollziehen, weil ich’s auch ohne Lockdown bin.

Allein ist man damit aber nicht und deppert auch nicht oder verrĂĽckt. Naja, ein bisserl verrĂĽckt manchmal schon, aber das hat weniger mit der Depression zu tun, mehr mit dem wie man halt so ist. Da stört’s mich schnell, wenn Nudeln in einer SalatschĂĽssel aufgewärmt werden. Furchtbar! Aber darĂĽber hab ich schon frĂĽher mal geschrieben. Wer sich jetzt nicht auskennt, hat halt Pech gehabt. Ja, und deppate Leute gibt’s auch ĂĽberall. Hat meine Oma schon gesagt.

Jetzt aber zurück: Ich bin an einem Tag im April 2016 aufgewacht und konnte nichts mehr. Nicht mehr reden, nicht mehr denken, nicht mehr essen, nicht mehr trinken. Nur weinen und speiben. Mir hat einfach wer im Gehirn rumgewurschtelt! Wieso? Frechheit! Und entwurschteln ging auch nicht mehr. Sonst ist aber mein Hirn das besttrainierteste meiner Körperteile. Das hat am meisten Muskeln. Sozusagen Sixpack in Kopf!

Fragt mich jetzt nicht nach Details zum Primärwurschtel – die weiĂź ich nämlich nicht mehr. Ich weiĂź nur: liegen, einrollen, weinen. Weinen und noch mehr weinen. Mein Mann bringt mich ins Bett und liest mir vor. Das Licht brennt die ganze Nacht. Irgendwann Arzt, Antidepressiva, Therapie und Psychiater. Zu viel Stress – zu wenig ich Zeit. Vorher ging’s mir gut. Nix gemerkt. ScheiĂźe.

Der Wurschtel im Hirn will nicht weg. Ich kann ihn nicht kontrollieren. Ich kann aber sonst immer alles kontrollieren. Nur mĂĽhsam kann ich Faden fĂĽr Faden entwirren. Es dauert ungemein lange und nervt. Es nervt so sehr! Nervt immer noch. Am liebsten wieder einrollen und weinen. Alles ist Ăśberwindung. Und alle sagen mir, ich soll was essen. Ich hab schon hunderttausendmal gesagt, ich hab keinen Hunger!

Jetzt ist es 2021 und der Wurschtel ist immer noch da. Ich stell ihn mir oft als Wollknäuel vor, das da in meinem Kopf wohnt. Manchmal wird es kleiner, manchmal wurschtelt sich was Neues dazu und manchmal schnappt eine Katze sich das Wollknäuel, trägt es weg und zerlegt es in hunderte Einzelfäden.

So groĂź wie 2016 wurde der Wurschtel aber nie mehr. Das erzähl ich aber ein Andermal. Zu viel ĂĽber den Wurschtel im Hirn nachdenken macht ihn nämlich wurschteliger …

© Corinna Hörmann 2021-02-16

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