Ich glaube an Camping

Malte Leyhausen

by Malte Leyhausen

Story

Ich bin durch den Umzug in eine neue Wohnung seelisch obdachlos geworden. Eine alte Bekannte wohnt an der Ostsee, eine Tagesreise entfernt. Sie sagt, wenn du in meiner Nähe Urlaub machst, würde ich dich gerne wiedersehen. Weil ich nicht glaube, eine bessere Eingebung für meine Ferien zu bekommen, buche ich für sieben Tage einen Campingplatz in ihrer Nähe. Die Bekannte sagt kurzfristig ab. Die Frist zur Stornierung des Platzes ist abgelaufen. In der frohen Hoffnung auf die heilende Kraft des Campings trete ich den Urlaub an. In vieler Hinsicht mein erstes Mal. Das erste Mal Campingurlaub. Das erste Mal eine Gruft im Kastenwagen. Das erste Mal allein.

Ich kaufe mir eine Campingausrüstung, als würde ich nach einem langen Leben am Gaskocher an der Ostsee beerdigt werden. Und für die Fahrt über den Styx mobiles Mobiliar benötigen. Ich besorge ein Vorzelt für Kastenautos, damit ich nach meiner täglichen Wiederauferstehung nicht direkt in den Himmel auffahre, sondern vom wetterfesten Anbauhimmel geschützt werde. Ein raffiniertes Topfset, in dem sich das Kochgeschirr wie russische Matrojschkas ineinander fügt. Einen Mini-Heizlüfter gegen kalte Luft in der Gruft.

Auf der Tagesreise mache ich auf halber Strecke Station bei einem neuen Bekannten. Der pensionierte Religionslehrer schrieb sein erfolgreichstes Buch über den historischen Jesus. Wissen statt glauben. Ich frage ihn, wie er es mit der Religion hält. Er weiß es nicht mehr genau und überlegt, ob er darüber sein nächstes Buch schreibt.

Der Platz bei Travemünde entpuppt sich als Mekka der Campinggläubigen. Schließlich auch eine Weltreligion. Mit Münzeinwurf und Waschgelegenheit. Hier darf jeder nach seiner Fasson seinen temporären Tempel errichten. Oder gar seinen Dauertempel.

Ich bekomme ein Areal zugewiesen von der Größe eines luxuriösen Familiengrabs. Der Kastenwagen rollt andächtig mit den vorgeschriebenen 5 km/h in mein Paradies auf Zeit. Ich versuche am frühen Abend das Vorzelt aufzubauen, aber das Sternenzelt steht schneller. Ich esse und trinke zuerst meine Vorräte. Nicht, weil ich sie essen und trinken möchte, sondern weil ich sie mitgenommen habe. Danach kaufe ich zu überirdischen Preisen geistige Getränke im Campingplatzladen. Ich leere die Flaschen und kann das Vorzelt nicht mehr vom Sternenzelt unterscheiden.

Ich wachse von Tag zu Tag mit der Natur zusammen. Wenn ich morgens aus dem Kastenwagen auferstehe, trägt mich die Erde oder der Matsch verschlingt mich. Ein metaphysisches Versprechen ohne Kirchensteuer. Ich sortiere meine Seele wie die Zeltstangen meines Vorzelts. Es gibt keinen Termin, keinen Druck, keine Erwartungen. Es gibt nur die heilende Kraft des Campings.

© Malte Leyhausen 2025-06-08

Genres
Novels & Stories
Moods
Emotional