Fassungslos und geschockt steh’ ich da. Kaum verstehe ich meinen Sohn. Vielleicht möchte ich ihn in diesem Moment auch nicht verstehen. Wer versteht das überhaupt? Ist das zu verstehen?
Ich bitte ihn langsam zu sprechen, seine Worte dringen kaum zu mir durch. Seine Stimme überschlägt sich grauenvoll, klingt aber gleichzeitig unglaublich zart. Meine Konzentration befindet sich an einem steilen Abgrund, Millionen Gedanken durchfluten meinen Kopf. Seine Tränen sind verdammt leise zugleich ohrenbetäubend laut. Ich selbst spüre wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Die Hitze in meinem Körper ist unerträglich, ich bin unfähig zu reagieren. Meine Arme schlinge ich um meinen Ältesten und halte ihn einfach fest. Wiege ihn wie ein Baby.
Einer seiner Schulkollegen ist tödlich verunglückt, wird nie wieder mit ihm die Schulbank drücken. Obwohl ich diesen Burschen nur ein einziges Mal gesehen habe, reißt mich dieses Elend mit. Eine aufkeimende Ohnmacht durchdringt mich. Ich versuche seine und meine Tränen zu trocknen und bin mit der Situation komplett überfordert. Seine tiefe Ergriffenheit und sein Schmerz durchströmen mich ebenso.
Er fragt mich: „Warum er?“ Das weiß ich nicht. „Wie konnte das nur passieren?“ Ich schüttle den Kopf. „Warum musste er dort unterwegs sein?“ Wer weiß das schon. „Hätte er gerettet werden können, wenn er früher gefunden worden wäre?“ Ich habe leider keine Ahnung. „Meinst du, er hat gespürt, dass das sein letzter Sprung sein wird?“ Ich bekomme keine Luft mehr. „Mama, denkst du, er hat gewusst, dass er sterben wird?“ Ich schluchze mit ihm.
Es ist einfach eine entsetzliche Tragödie. Für alle. Meine Unbeholfenheit, meine Unfähigkeit mein Kind zu stärken, zu helfen. Ich habe komplett die Orientierung verloren. Das verunglückte Kind kann nie mehr mit seinem geliebten Skateboard die Welt unsicher machen. Seine Familie, die Eltern und seine Geschwister müssen fortan ohne ihn sein. Seine Freunde, seine Schulkollegen. Die Gefühlswellen, die uns gerade überwältigen, sind gigantisch. Diese unzähligen Fragen, auf die ich keine Antworten finde. Meine eigene Sprachlosigkeit, meine eigene Verletzbarkeit sind vehement und blockieren mich. Ich wünschte, jemand würde mir diese Starre nehmen, nun an unserer Seite stehen und uns beide tröstend in die Arme nehmen. Das Leben spielt echt unfair und hat es an diesem Tag wieder bewiesen.
Ich habe schon einige Verluste in meinem Leben erlitten und wenngleich ich manch Verstorbenen besser als diesen Jungen kannte, ist meine Trauer und Wut heftiger als zuvor. Als Mama fühle ich einen Schmerz, der nicht mal im Entferntesten den seiner Liebsten erahnen lässt, doch bricht ein Teil meines Herzens. Zu sehen und zu spüren wie nahe dieser Verlust und diese schockierende Nachricht meinem Sohn geht, lässt noch ein Stückchen mehr meines Herzens bröseln.
Ich kann ihm tatsächlich keine seiner Fragen beantworten. Nicht weil ich nicht will, ich weiß keine Antworten.
© Birgit Charlotte Brocza 2021-01-15