Ich war einmal

Wenn ich sprechen könnte, dann würde ich euch folgende Geschichte erzählen:

Vor vier Jahren hat mich die Mama von Philipp gekauft. Philipp, ein Down-Syndrom Junge, eigentlich ist er ja schon ein Mann, liebt Frösche, aber sie müssen eine Krone besitzen. Sein Lieblingsmärchen ist nämlich der Froschkönig und ich bin ein Froschkönig. Ich wurde in eine Schale mit Erde gesetzt und um mich herum blühen gelbe Blumen. Die Schale befindet sich auf der Terrasse. Ich fühle mich wohl und ich habe auch Gesellschaft. Sechs Elfenstäbe aus Metall stecken in großen Pflanzentrögen und auf einem Tisch sitzt ebenfalls ein Frosch, jedoch ohne Krone. Er meditiert stets vor sich hin und er ist etwas abgehoben. Bei einem Rosenstock steckt eine Rosenkugel mit einem Elefanten in der Erde. Die Terrasse strahlt eine wilde Behaglichkeit aus. Alles ist bunt durcheinander gewürfelt. Auf einem Regal tummeln sich gelbe Blumenübertöpfe und drei Drachen, die ganz friedlich und freundlich sind.

Letztes Jahr wurde ich dann umquartiert in eine größere Schale auf der anderen Seite der Terrasse. Die Schale steht auf einem hohen Sockel, der sogar beleuchtet ist in der Nacht. Ich habe einen guten Überblick und eine weite Aussicht. Ich bin aus Ton und bemalt. Unten habe ich eine Öffnung, wo man einen Stab hineinstecken kann, was die Mama von Philipp auch tat. Einen kurzen nur, damit ich in der Erde auch Halt habe. Die Schale ist mit niedrigen weißen und roten Blümchen bepflanzt und ich throne sozusagen über dieser Pracht. Mein Leben war schön.

Doch gestern dann zog dieses Unwetter über das Land. Es donnerte und blitzte und furchtbare Windböen mit Hagel und Starkregen fegten über die Terrasse. Philipp und seine Mama konnten nichts tun, nur zusehen. Eine besonders starke Böe warf mich samt dem Sockel um und ich wurde darunter begraben. Aber das war noch nicht alles, ich zerbrach in unzählige Stücke. Die Schmerzen hielten sich in Grenzen, es ging einfach zu schnell.

Heute hat mich die Mama zusammengekehrt und in die Restmülltonne geschmissen und in zwei Wochen werden die letzten Reste von mir entsorgt. Was soll ich euch sagen, das war mein Leben. Ich wäre gerne länger geblieben, aber das Schicksal hat es so bestimmt. Philipp wird sich bestimmt einen neuen Froschkönig holen und dann läuft wieder alles seinen gewohnten Gang.

Ich war einmal und es war schön.

Foto: Pinterest/ artegatto artefatto