Lautlos lenkte Yasraena ihre Schritte vorwärts, leise wie der Rest ihrer Rotte. Abgesehen von den beiden Tiefenzwergen, welche sie begleiteten. Sie standen auf derselben Seite, trotzdem verspürte sie große Lust, den aufgelegten Pfeil nach hinten zu jagen. Ein tiefer Atemzug folgte, um den Gedanken zu verdrängen. Zu fünft waren sie unterwegs, drei Dunkelelfen und zwei Tiefenzwerge, und patrouillierten unweit eines Aufgangs. Wie so oft auf der Suche nach einer Schwachstelle in den Zwergenfestungen, und vermutlich wie so oft vergebens. Deswegen waren die Tiefenzwerge dabei. Um die Arbeit ihrer doch sehr entfernten Verwandten zu beurteilen.
In einiger Entfernung schälte sich Derion, ihr Kundschafter, aus dem Schatten. Sein Kopfschütteln bedeutete ihnen, dass keine Gefahr drohte. Yasraena führte die Rotte vorwärts, weiter in Richtung der Festung. Die Pilze des Tiefenreichs verströmten schwaches, lilafarbenes Licht, auch wenn ihre an die Dunkelheit gewöhnten Augen es nicht benötigt hätten. Derions Schattenmagie hüllte die Gruppe ein, tauchte ihre Welt in Schwarz und verbarg sie vor neugierigen Augen, die aus den Löchern der Tunnelwände starrten. Sie alle beherrschten die einfachen Zauber ihrer Völker, selbst die zwergischen Begleiter, doch manche zeigten ein besonderes Talent. So wie Derion, der mit seiner Armbrust die Vorhut bildete. Yasraena wollte speziell ihn in ihrer Rotte haben, und sie war froh, dass er zugestimmt hatte. Ehrgeizig bestand sie darauf, nur mit den besten zu arbeiten. Dazu gehörten, wie sie leider zugeben musste, auch die beiden Tiefenzwerge.
Die Gruppe ging hinter einem Felsen in Deckung, als sie in der Ferne die Feuer der Zwergenfestung sahen. Yasraena schnaubte verächtlich, als würde ihnen die Helligkeit nützen. Die Pfeile ihres Volkes flogen schnell und präzise. Hinter der Festung lag die Oberfläche, die Zwerge schützten jeden Zugang zum Oberreich. Hier roch die Luft deutlich frischer. Von einem Moment auf den anderen zog sich der Schatten um ihre Gruppe zurück. Yasraena blickte zu Derion, dessen verwirrter Blick ihr nicht gefiel. Es war, als konnte er nicht auf seine Magie zugreifen.
Plötzlich fegte eine Schockwelle durch das Tiefenreich und die Gruppe stürzte zu Boden. Sie hatten sich gerade zurück auf ihre Beine gekämpft, als ein Erdbeben folgte und sie sich schutzsuchend gegen den Felsbrocken drückten. Wie durch ein Wunder blieben sie unverletzt, während in der Festung vor ihnen tiefe Zwergenstimmen Befehle brüllten. Yasraena beugte sich aus dem Schatten und was sie sah, ließ ihr Herz schneller schlagen. Risse in Mauern und Tor. Beschädigte Abwehrmechanismen und Waffen.
Sie zwang sich zur Ruhe, suchte Derions Blick und deutete ihm in Zeichensprache, er solle in Martilar, ihrer Hauptstadt, Bescheid geben und mit Truppen zurückkehren. Derion entfernte sich und Yasraena betrachtete mit einem kalten Lächeln die Festung. Sie freute sich auf reiche Beute in der Oberwelt.
© Benjamin Gründinger 2022-05-19