Im Reich der Hummeln

Kera Rachel Cook

by Kera Rachel Cook

Story

Ich öffne die Holztür zum Garten. Ihr Knarren durchdringt die frühe Stille. Die Tautropfen lassen das Gras in der morgendlichen Sonne glitzern. Ich atme tief ein. Eine dicke Hummel begrüßt uns in ihrem Reich.

„Komm, mein Schatz!“ Ich nehme deine kleine Hand in meine und helfe dir die beiden Treppenstufen herab.

Du deutest zum Baum. „Törschen haben!“ Ich greife nach einem tief hängenden Ast und hole rote Kirschen für dich herunter. Nachdem ich den Stein entfernt habe, reiche ich dir die beiden Hälften. Ich kann gar nicht so schnell ernten, wie du die süßen Kirschen wegfutterst.

„Magst du mir beim Gießen helfen?“ Du nickst eifrig. „Mhm!“ Wir holen die beiden Gießkannen – für Mama eine große Blaue und für dich eine kleine Grüne. Hinten bei den Regentonnen füllen wir unsere Kannen auf. Zuerst ist der Rosmarin dran, dann der Olivenbaum und die Rosen. Wir müssen eine kurze Pause einlegen, weil du erst noch ein paar Johannisbeeren essen möchtest. Die schwarzen hast du schon alle aufgegessen. Jetzt gibt es nur noch rote. Ich pflücke dir eine Handvoll Beeren. Ich mag sie kaum essen, so sauer sind sie. Aber dir schmecken sie. Ohne eine Miene zu verziehen, machst du dich über die Beeren her. Danach können wir weiter gießen: die Beerensträucher, die Kräuterbeete und die Gemüsebeete. Du hast keine Lust mehr zu gießen, willst lieber mit deinem Ball spielen. Während du mit dem Fußball durch den Garten fetzt, hole ich noch einmal Wasser.

Als ich zurückkomme, kann ich dich nicht sehen. „Mausi!?“ Hinter einem der Hochbeete lugst du hervor, fleißig am Knabbern.

„Was isst du denn da?“ Das Lachen bricht nur so aus mir heraus, als du mir deine Beute zeigst. Eigentlich sollst du allein kein Gemüse von den Pflanzen abreißen, sondern nur mit Mama oder Papa. Aber du bist eben mein kleiner Schlawiner, der es einfach nicht sein lassen kann. Mit einem ganz besonderen Exemplar Zucchini in der Hand stehst du da, das mehr an eine Kugel Eis in der Waffel erinnert denn an eine Zucchini, und beißt davon ab, als wäre es genau das – ein Eis. Nur den letzten kleinen Stummel lässt du übrig.

Mein Blick wandert über unser Haus, ein Zuhause für drei Generationen, und unseren wunderschönen großen Garten mit dem alten Kirschbaum, den vielen Beerensträuchern und Hochbeeten, deinem Sandkasten, der kleinen Dino-Rutsche und deinem Planschbecken. Was habe ich mir als Kind immer gewünscht, in einem solchen Haus zu wohnen, jeden Morgen eine Treppe zum Frühstück runtergehen zu dürfen und einen solchen Garten zu haben. Was macht es mein Herz groß, zu wissen, dass du in einem solchen Umfeld groß werden darfst. Dass du nicht nur Mama und Papa jeden Tag um dich haben darfst, sondern auch Omi, Oma und Opa. Dass du in diesem Garten herumtoben und Obst und Gemüse von den Sträuchern und den Bäumen essen darfst.

Ich stecke mir den letzten Rest Zucchini in den Mund und jage dir durch den Garten hinterher. Spätestens jetzt dürften alle Nachbarn von deinem Lachen und Quietschen wach sein.

(Juni 2021)

© Kera Rachel Cook 2022-08-30

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