Der Großraumwagen war stickig. Es roch nach alten Sitzbezügen, Mänteln und Undefinierbarem. Irgendwie seltsam, sich an Geruch zu gewöhnen, sobald die Luft in den Lungen vollständig ausgetauscht ist. Die Vorstellung, die verbrauchte Luft all dieser Menschen in sich aufzunehmen und das ewige Holpern des Zuges über die Schwellen verursachte ihr Übelkeit. Sie lehnte ihren Kopf an das kühle Fensterglas und nahm die Vibration in sich auf. Der Stahlkasten des Wagons war ein Klangkörper und an ihr brachen die Schallwellen. Wie lange sie so dasaß, wusste sie nicht, doch mit einem Mal erregte etwas ihre Aufmerksamkeit. Er saß zwei Reihen weiter auf der anderen Seite des Gangs und schien zu träumen. Seine Augen waren geschlossen, seine Lider zuckten, doch er bewegte seine Lippen. Sie war wie gebannt. Obwohl das völlig lautlos geschah, war ihr, als verstünde sie seine Sprache. Wenn alles um sie herum der Resonanzkörper war, dann war er der Ursprung der Wellen, der Tongeber. Von seinen Lippen gebildet, breiteten sie sich um ihn aus wie Ringe, die durch das Brechen der Wasseroberfläche zu allen Seiten ausgesendet wurden.
„Weil ich schwinge, wenn er schwingt.“, dachte sie. Und all das Rauschen um sie herum, das Poltern, das Pfeifen, das Rascheln der Kleidung schwoll ab bis nichts zu hören war als seine Wellen, die an ihr brachen. Es gibt sie, die Momente, die alles verändern. “Er ist mein Paukenschlag.”, dachte sie und hatte Angst, dass dieser Gedanke zu laut sein könnte.
© Florian Beier 2022-07-14