Inventur

Sonja M. Büttner

by Sonja M. Büttner

Story

Zu meinen Sprachkenntnissen hat sich nun ein neues Wort hinzugesellt: Inventur. Also „in” kenn ich. In das Körbchen. In der Tasche. In den Wintermonaten. Eine „Tour” kenn ich auch. Hab schon viele mit Frauchen unternommen. Und das Wort „wenn” kenn ich nur allzu gut. Wenn es dieses Wort nicht gäbe, hätte Frauchen viel weniger Regeln für mich aufgestellt. Wenn sie so weitermacht, muss ich mir noch lesen und schreiben beibringen. Den ganzen Regelkatalog kann sich doch auf Dauer kein Mensch merken. Und auch kein Hund. – Aber das ist ein anderes Thema.
Seit heute weiß ich nämlich, wo mein Frauchen arbeitet. Also, wo sie hingeht, wenn – da ist das Wort wieder – ich zuhause bleiben muss.

Nun, was soll ich sagen. Es ist ein riesengroßer, überdimensionaler Raum mit unzähligen Klamotten. Als hätte Frauchen davon nicht schon genug im Schrank. Aber egal. Das ist ja noch, wie soll ich sagen, verständlich, möglich, im Bereich des Erträglichen. Nur wer um Himmels Willen ist auf die Idee gekommen, das alles wie einen Irrgarten anzulegen? Einmal nicht hingeschaut, zack, Frauchen weg. Und es war heute nicht so, dass sie die Leine noch in der Hand gehabt hätte, damit ich sie nicht verliere. Nein. Leine losgelassen, mir überlassen und im nächsten Moment war ich verlassen.

Anfangs gefiel mir das noch ganz gut. Ich sollte neben dem Schreibtisch liegen bleiben und warten, bis sie fertig ist. Doch ihre Kolleginnen wollten mich unbedingt sehen. Mich kennenlernen. Nach dem Chef des Hauses wurde verlangt. – Ich hab’s genau gehört. Leugnen zwecklos. – Frauchen rief mich zu sich.

Ja. Genau da lag das Problem. Wo ich hinsah – Klamotten. Aber wo war mein Frauchen? Klamotten über Klamotten. Manche neutral riechend, manche so la-la und für andere hätt ich am liebsten die Seuchenschutzbehörde gerufen. Meine arme Nase. Aber ohne Schnüffeln ging es nicht. Wie sollte ich Frauchen sonst finden?
Nach unzähligen Irrungen und Wirrungen hatte sie wohl Mitleid und kam mir entgegen. Eine Augenweide, als ich um die nächste Ecke bog und sie endlich sah, sie endlich gefunden hatte. Jetzt würde ich keinen Zentimeter mehr von ihrer Seite weichen.

Sie stellte mich ihren Kolleginnen vor. Drei an der Zahl. Dann machten sie weiter „Inventur”. Dafür kriegt man also Geld?! Jedes Teil einzeln anfassen, zählen, was auf einen Zettel kritzeln und die Nächste kommt dann mit einem kleinen schwarzen Kästchen, das bei jedem Kleidungsstück piept und kritzelt dann noch mal auf den gleichen Zettel. Wenn alle Zettel zweimal bekritzelt sind, sind alle glücklich und gehen wieder heim.

Das war genau in dem Moment, als es mir angefangen hatte, Spaß zu machen. Ich hab nämlich bei der Inventur auch mitgemacht. Wurde von der Filialleitung zum Inventur-Helfer erklärt. Und wenn ich auch nicht piepen kann, aber fiepen kann ich alle mal. Sogar im Takt!

© Sonja M. Büttner 2023-01-15

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