by Elham Emami
Wer bin ich?
Ich bin Mädchen, Frau, Tochter, Freundin, Ehefrau, Mutter, Arbeitskollegin, Nachbarin, Iranerin, Deutsche. Doch ich bin mehr als das – ich bin eine Shirzan.
Shirzan ist ein persisches Wort und bedeutet „Löwin“. Doch seine Bedeutung reicht weit darüber hinaus. Shirzan steht für eine „Löwenfrau“, eine tapfere Frau. Es ist ein Kompliment für eine mutige, starke und entschlossene Frau, die auch in schwierigen Situationen Standhaftigkeit beweist. Das Wort setzt sich aus shir (Löwe) und zan (Frau) zusammen. Aber warum sehe ich mich als Shirzan? Warum sind wir Frauen alle Shirzans? Das Leben stellt uns immer wieder vor Herausforderungen – vor Menschen und Situationen, die unseren Mut und unsere Stärke auf die Probe stellen. Jede von uns hat ihre eigene Geschichte, in der sie sich behaupten musste. Doch Mut bedeutet nicht nur, Hindernisse zu überwinden. Mut bedeutet auch, sich selbst zu finden. Und genau hier beginnt meine Geschichte.
Ich war etwa acht Jahre alt, als ich mein Heimatland Iran verließ und nach Deutschland kam. Damals versuchte ich – eher unbewusst –, mich schnell anzupassen, um das Gefühl, anders zu sein, loszuwerden. Tatsächlich war ich manchmal sogar stolz darauf, wenn man mir sagte, meine Herkunft sei weder sichtbar noch hörbar. Heute erscheinen mir diese Gedanken von damals absurd. Denn heute bin ich stolzer denn je, auch Iranerin zu sein. Alles änderte sich im Spätsommer 2022. Die Bilder aus dem Iran trafen mich mit einer Wucht, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Farsi, die Sprache, die ich sonst nur mit meinen Eltern sprach, verband mich plötzlich mit den Straßen Irans. Sie öffnete mir eine Welt, die mir gleichzeitig fremd und tief vertraut war. Und auf einmal fühlte ich mich fremd in meiner angepassten Umgebung.
Als Kind lief bei uns zu Hause oft persische Musik – mal leicht und fröhlich, mal traurig und schwer. Damals verstand ich sie nicht wirklich. Manchmal war sie mir sogar peinlich; ich wollte lieber MTV schauen. Heute habe ich manchmal Flashbacks, die mich in diese musikalische Welt von damals zurückholen – eine Welt, die mir so vertraut ist und gleichzeitig fremd bleibt. Ich trage Erinnerungen in mir, die ich nicht mit meiner deutschen Umgebung teilen kann. Geschichten und Melodien, die sich tief und unsichtbar in meine Haut tätowiert haben. Gefühle, die sich in meiner Seele eingebrannt haben. Erlebnisse, die sich nie in Worte fassen lassen. Heute höre und verstehe ich die Lieder, die meine Eltern damals hörten. 2022 halfen sie mir, nicht in ein bodenloses Loch zu fallen. Sie erfüllten mich mit einer Inspiration, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Und plötzlich verstand ich die Schwere und die Demut meiner Eltern, als sie diese Lieder hörten. Der Schmerz der Menschen im Iran verschmolz mit meinem eigenen. Ich fühlte mit, ich weinte mit, ich kämpfte mit – und gleichzeitig bewunderte ich diesen selbstlosen Mut. Der Mut dieser jungen Iranerinnen zeigte mir, dass auch ich den Mut haben kann, zu meiner eigenen Shirzan zu stehen.
Denn schließlich bedeutet mein Name Elham „Inspiration“. Doch erst nach 43 Jahren hatte ich die Inspiration, zu mir selbst zu stehen – und stolz darauf zu sein, ich zu sein.
© Elham Emami 2024-11-25