Er war schon lange nicht mehr so aufgeregt gewesen wie heute. Kalter Schweiß lief ihm über die Stirn und ein Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet, der einfach nicht verschwinden wollte. Der Grund seiner Aufregung lag nicht daran, dass er vor Tausenden von Menschen eine Rede halten würde. Dies war er durch sein Studium und seine Arbeit in der Forschung mittlerweile gewohnt. Es lag auch nicht daran, dass er den bedeutendsten Preis erhalten würde, den ein Mensch sich nur vorstellen konnte. Nein, seine Nervosität entsprang dem Grund, dass er nicht zu hundert Prozent sicher war, dass seine Entdeckung den Menschen wirklich helfen würde. Im Gegenteil hatte er sogar Zweifel daran, ob seine Arbeit, welche die künstliche Intelligenz um Jahre voranbringen würde, nicht sogar gefährlich für die Menschheit sein könnte. Angespannt begann er, an seinen Fingernägeln zu kauen, und versuchte, die Demonstranten nicht anzusehen, die sich vor dem Gebäude versammelt hatten. Sie hielten Schilder hoch, auf denen stand, dass er die Menschheit auslöschen würde. Wie viele von ihnen waren verrückte Verschwörungstheoretiker und wie viele hatten die potenzielle Wahrheit erkannt? Er konnte sich nicht länger im Auto verstecken. Die Zeit wurde langsam knapp und er müsse rein gehen. Ein Mitarbeiter vom Sicherheitsdienst war zu seinem Schutz aufgestellt worden. Er hatte eine Reihe an Drohbriefen und Warnungen in den letzten Wochen bekommen, sodass er fast nirgendwo mehr alleine hinkonnte. Selbst seinen kleinen Bruder konnte er im Moment nicht besuchen, da der Staat durch die Pandemie zur Selbstisolation aufgerufen hatte. „Professor Maier, sind Sie dann soweit?“ Eine der Organisationsassistentinnen fing ihn kurz vor dem Pausenraum ab und schaute nervös auf ihre Uhr. Der Mann nickte nur und folgte ihr mit schweren Schritten zum hinteren Teil der Bühne. Er konnte bereits das Licht durch den dicken Vorhangstoff erkennen und bemerkte nicht einmal, wie er mit dem Headset und Mikrofon ausgestattet wurde. Seine Finger umklammerten die angeschwitzten Bögen Papier, die er zur Sicherheit mitgenommen hatte, um seinen Text nicht zu vergessen. Als er endlich auf die Bühne lief, wurde er zunächst von dem hellen Licht, welches auf ihn gerichtet war, geblendet. Erst danach nahm er wahr, wie viele Menschen sich tatsächlich versammelt hatten. Aufgrund des Ausbruchs der Pandemie waren es zum Glück nicht so viele gewesen. Denn das Infektionsschutzgesetz schrieb vor, dass sich nur eine begrenzte Anzahl an Personen in einem geschlossenem Raum aufhalten durften. Die meisten hatten es ohnehin bevorzugt, sich die Verleihung von zuhause aus online anzusehen. Die vielen Kameras in allen Winkeln machten ihn dennoch nervös und er musste sich ein paar Mal räuspern, bevor er überhaupt den Mut fand, in das Mikrofon zu sprechen. Sein Hals kratzte etwas, aber er war von sich selbst überrascht, wie kräftig seine Stimme doch klang. „Guten Abend, meine Damen und Herren. Mein Name ist Prof. Dr. Johannes Maier und ich hatte bereits als Kind den Traum, die Zukunft für uns alle zu einer besseren zu machen.“ Johannes machte eine kurze Pause, um sich kurz umzuschauen. Das hier war sein Moment, auf den er jahrelang hingearbeitet hatte. Die kurzen Zweifel, die er vorhin verspürt hatte, waren verflogen und er setzte sein bestes Lächeln auf, bevor er fortfuhr.
„Lassen Sie uns heute über die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz reden.“
© Teodora Nikolic 2023-07-28