Jersey, die Insel meiner Kindheit

Eva Filice

by Eva Filice

Story

Jersey! Die Insel war mir von Kindheit an vertraut. Papa erzĂ€hlte von den vielen Blumen und vom milden Klima. Vom cream tea, den er jeden Morgen trank, solang er lebte. Vom Meer, das kam und wieder verschwand. Er war als Soldat auf Jersey stationiert, wenige Monate, bevor der Krieg zu Ende war. „Die Schönheiten dieser Insel möchte ich euch einmal zeigen“, Papa trĂ€umte davon, seine Familie an jene Orte zu bringen, wo es fĂŒr ihn mitten im Krieg „fast wie im Urlaub“ war. So seine ErzĂ€hlung, die mich spĂ€ter nachdenklich machte.

Papa lebte leider nicht mehr, als ich endlich mit meinem Mann eine Reise zu jener sagenhaften Insel antrat. Was wĂŒrde mich erwarten? Nicht nur an Natur und Kultur, sondern auch an Empfindungen. Ich werde auf Papas Spuren wandeln, mit der Gewissheit, dass er 70 Jahre davor da war. Seine schwĂ€rmerischen ErzĂ€hlungen lösten in meinem Kopf Bilder aus. Was wollte er uns mitteilen? „Die Seele ist ein weites Land“, heißt es bei Arthur Schnitzler.

Jersey im September verwöhnte uns mit mildem Wetter. Hortensien blĂŒhten in allen Farben, Fuchsien hingen als meterhohe Kaskaden von HauswĂ€nden, Rosen jeder Art dufteten in Parks, in VorgĂ€rten von Villen und in SchaugĂ€rten. Die Wiesen prahlten mit saftigem GrĂŒn. Ebbe und Flut waren ein unaussprechliches Erlebnis. Schiffe ankerten in der FrĂŒh in Schieflage am Meeresboden, einige Stunden spĂ€ter standen sie 5 Meter höher am Kai. CorbiĂ©re Lighthouse steht auf einer Felsinsel im SW der Insel. Der Weg zur Insel war frei vom Wasser, wir wandelten auf dem Meeresboden. Am nĂ€chsten Tag stand der Weg vollkommen unter Wasser. Dieses faszinierende Schauspiel von Ebbe und Flut war in dieser Dimension neu fĂŒr mich. Ein Bunker in der NĂ€he irritierte diesen besonderen Anblick des weißen Leuchtturms.

Besonders neugierig war ich auf Elizabeth Castle in St. Helier. Diese Burg wurde im 16. Jh. zu Verteidigungszwecken auf einem kleinen Felsen errichtet. Eine Befestigungsanlage gewaltigen Ausmaßes bot sich uns von Weitem dar. Bei Ebbe ist die Burg zu Fuß erreichbar. Wir betraten durch unzĂ€hlige Tore den Ă€ußeren und inneren Burghof, bemerkten viele Bastionen und natĂŒrlich die unvermeidbaren Zeugnisse der deutschen Besatzung: mehrere Bunker an strategisch wichtigen Stellen dieser Burg. Das brachte die schlimme Zeit des Krieges deutlich und leidvoll zum Ausdruck und ließ in mir ein GefĂŒhl der Ohnmacht aufkommen. Elizabeth Castle erlebte ich als Stadt in der Burganlage, mit Offiziersquartieren, SoldatenunterkĂŒnften, Handwerksbetrieben, Magazinen u.v.m. An oberster Stelle der Burganlage wurde von den Besatzern noch ein Beobachtungsturm draufgesetzt. Ich vermutete, dass Papa in dieser Burganlage war. Leider kann ich ihn nicht mehr fragen. In Gedanken versunken und mit noch mehr Fragen im Kopf setzte ich mich auf eine Mauer und blickte auf das Meer hinaus. Da wir die Absicht hatten, im Trockenen an Land zu kommen, machten wir uns rechtzeitig auf den RĂŒckweg.

BerĂŒhrt und betroffen verließ ich die Festung, 70 Jahre, nachdem mein Papa hier gewesen ist. In Gedanken war er mit mir.

© Eva Filice 2021-04-08

Hashtags