by MaryH
Ich sah Melkvin zum ersten Mal am Bahnsteig am NĂŒrnberger Hauptbahnhof. Er stand im kleinen, mit gelber Linie abgetrennten Raucherbereich auf Gleis 9 und telefonierte in lautem Englisch: âIâm goinâ to get it dun, Howie, I know itâs about time, stop goinâ on me tits now. Fuck’s sakeâ, sagte er, bevor er schnaubend auflegte und verstohlen zu mir rĂŒbersah. FĂŒr einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke, aber er schaute so ertappt drein, dass ich schnell wieder meine Schuhe begutachtete. Als ich wieder nach oben sah, war er verschwunden. Es dauerte sechs Tage, bis sich unsere Wege ein zweites Mal kreuzten.
âEverything Iâm about to tell you will make your beliefs and your perception of the world go tits up, Josieâ, hatte er mir ins Ohr genuschelt, als ich an jenem schicksalhaften Tag verkatert vor meinem Lieblingsdöner in der JohannisstraĂe auf meinen DĂŒrĂŒm gewartet hatte. Ich war erschrocken herumgefahren und hatte verwirrt in das das mir vage bekannt vorkommende runde Gesicht gestarrt, das wie aus dem Nichts plötzlich direkt neben mir aufgetaucht war. âBut you do need to know”, war er fortgefahren, “now letâs have a pint and a cig and stop looking at me like Iâm a talkinâ pigeon.â
So passiv wie man nur in diesem Zustand völliger Kater-GleichgĂŒltigkeit sein kann, hatte ich mich von dem bizarren MĂ€nnchen ein paar Meter weiter in eine schĂ€bige kleine Pilsbar ziehen lassen, an der drauĂen ein alter âRaucherclubâ-Sticker klebte. Ich hatte mich noch milde neugierig gefragt, woher mir der kleine glatzköpfige EnglĂ€nder mit dem langen schwarzen Filzmantel so bekannt vorkam. Und noch bevor ich hatte fragen können, wer er sei und woher er ĂŒberhaupt meinen Namen wisse, hatte er mich in eine Ecke gesetzt, zwei Halbe auf den Tisch gestellt und nach einem seufzenden âNow, where do I startâŠ!â begonnen, mir seine unglaubliche Geschichte zu erzĂ€hlen.
Fast fĂŒnf Stunden spĂ€ter waren wir gemeinsam aus der Pilsbar gestolpert – ich völlig neben mir, mit klopfendem Herz, tausend Gedanken die angestrengt durch mein geschocktes Gehirn wateten wie durch einen Sumpf, und mit noch immer offen hĂ€ngendem Mund.
Melkvin hatte sich unbekĂŒmmert zu mir umgewendet und gesagt: âNow. Get on with quitting your job anâ saying bye to yourâŠwell, peers, or whatever, anâ all that. And I see you back again here, the day after tomorrow. Same time. I know you have a thousand more questions. But how âbout you digest all that Iâve told you so far and then weâll talk about the true sticky bollocks next time. OK? Iâve been here with you way too long any’ow, Iâm a busy man. I have to see a cat about a dog.â Dann hatte er mir unwirsch auf die Schulter geklopft, seine wohl hundertste Zigarette dieses Tages angezĂŒndet und war schnellen Schrittes um die Ecke verschwunden. Ich hatte ihm noch lange nachdem sein schwarzer Mantel, der ihn wie einen FuĂball-Hooligan aussehen lieĂ, um die Ecke geflattert war, nachgesehen und war dann mit tauben HĂ€nden und FĂŒĂen nachhause gewankt.
© MaryH 2022-03-21