Da saß ich nun, gefangen in einem Reisebus mit ungefähr 50 Rentnern zwischen 70 und 90 Jahren, die alle lauthals durcheinander plauderten. Irgendwie kam ich mir ziemlich deplatziert vor mit meinen 23 Jahren. Doch die Mutter meines seinerzeitigen Lebensabschnittsgefährten hatte riesigen Spaß an solchen Ausflügen, bei denen man kostenlos durch die Gegend chauffiert wurde und mit Kaffee und Kuchen versorgt, damit irgend so ein Verkaufsfuzzie einem Töpfe, Teller, Staubsauer und andere sinnlose Dinge andrehen konnte, die der ahnungslose Ossi noch nicht kannte. Das war 1994 noch ein recht erfolgreiches Konzept.
Gedankenlos hatte ich meine Teilnahme an diesem Ausflug zugesagt, und nun bekam ich erst eine Ahnung davon, auf was ich mich da eingelassen hatte. Fasziniert beobachtete ich, wie ein 90 Jahre alter Mann bei einem kurzen Zwischenstopp aus dem Bus sprang, um seiner ungefähr 85jährigen Angebeteten eine rote Rose zu kaufen. Als er ihr diese übergab, huschte ein freches Lächeln über ihr runzeliges Gesicht.
Der Bus fuhr aus der Stadt, über Landstraßen nach Irgendwo ins Nirgendwo. Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Am Ende hielt er vor einer großen Industriehalle, in deren leerem Dunkel ein paar Bierbänke und Tische aufgebaut waren. An der Seite standen ein paar Thermoskannen mit Kaffee und ein Blech mit Streuselkuchen. Im hinteren Teil war etwas mit weißen Leinwänden verdeckt.
Nachdem alle ein Plätzchen gefunden hatten, an ihrem Stück Kuchen kauten und mit dünnem Kaffee runter spülten, fing unser Reiseführer, der auch gleichzeitig der Verkaufsleiter war, mit seinem Monolog an und enthüllte das einzigartige Topfset, das hinter der Leinwand verborgen war. Niemand hörte ihm zu. Im zweiten Teil der Veranstaltung stellte er eine Wunderdecke vor, die gegen Rheuma und alle anderen altersbedingten Leiden helfen sollte. Um seinem Vortrag Glaubwürdigkeit zu verleihen, holte er eine ältere Dame aus dem Publikum. Schwerfällig erhob sich die Dame von ihrem Platz und ging behäbig zu ihm. Er bat sie, sich auf diese Decke zu legen und setzte seinen Vortrag über die heilenden Kräfte dieser Decke fort. Nach 10 Minuten sollte die Dame wieder aufstehen. Ein Wunder war geschehen. Sie stand ohne jegliche Beschwerden wieder auf und ging leichtfüssig zurück zu ihrem Platz. Ich war fasziniert. Diese Decke musste ich unbedingt für meine Oma haben. Sie sollte zwar 250 Mark kosten, aber das, was ich gesehen hatte, hatte mich total überzeugt. Schnell füllte ich den Bestellbogen aus, damit ich noch so eine Decke abbekam. Dann schaute ich mich um. Niemand, aber auch wirklich niemand von den alten Herrschaften wollte offensichtlich auch diese Decke haben. Langsam dämmerte es mir, dass ich hier die einzige war, die darauf reingefallen war. Heimlich zerknüllte ich den Zettel, ließ ihn in meiner Handtasche verschwinden und hoffte, dass keiner meine Dummheit bemerkt hatte. Ohne Decke, aber eine Erfahrung reicher kam ich zu Hause wieder an.
© Katja van der Trappen 2021-11-19