Kaffeeschaumorakel

Fabiennne

by Fabiennne

Story

Es war ein gemütliches kleines Café, versteckt in einer Seitenstraße, das für seine exzellenten Kaffeespezialitäten bekannt war. Kaum zwanzig Leute fanden darin Platz und es war eher ein Geheimtipp unter Kaffeeliebhabern. Viele kamen auch wegen Emilia, einer der Bedienungen, die eine Gabe hatte, Bilder im Kaffeeschaum zu lesen. Wenn auf dem Cappuccino die wundervollsten Kunstwerke landeten, so war es doch eher der Latte macchiato, dessen Schaum die bedeutungsvollen Bilder lieferte.

Eines Tages betrat ein neuer Gast das CafĂ©. Er setzte sich an einen der Holztische am Fenster, bestellte einen Latte macchiato. Emilia brachte ihm das dampfende Getränk. “Da ist ja ein schönes Muster im Schaum!”, sagte der Gast mehr zu sich selber, als sie die Tasse vor ihm abstellte.

Emilia lächelte geheimnisvoll. “Oh, das ist nicht nur ein Muster. Es ist bestimmt ein Zeichen. Lassen Sie mich einmal sehen…” Sie neigte den Kopf zur Seite und betrachtete das Bild genau. “Hmm, ich sehe… einen Baum. Das bedeutet Veränderung. Vielleicht stehen sie vor einer wichtigen Entscheidung?”

Der Gast lachte. “Nun ja, tatsächlich ĂĽberlege ich, meinen Job zu wechseln.” Emilia schmunzelte und ging zurĂĽck zur Theke.

Ein paar Tage später war der Gast erneut im Café und bestellte wieder einen Latte macchiato.

“Was sehen sie dieses Mal?”, fragte der Gast, als Emilia den Kaffee brachte. Emilia musterte die Form. “Heute sieht es aus wie eine BrĂĽcke. Das heiĂźt, sie sollten den Ăśbergang wagen, aber mit Bedacht.” Der Gast lächelte. “Das klingt ja geheimnisvoll!”

So entwickelte sich ein Ritual. Immer wenn der Gast kam, las Emilia aus seinem Kaffeeschaum. Mal sah sie einen Vogel und meinte, dass es sich deuten ließe, dass eine gute Nachricht unterwegs sei. Das nächste Mal war es eine Welle, die auf etwas Unerwartetes hindeuten würde. Dann sahen beide einen Schlüssel und Emilia gab zu bedenken, dass es für eine Tür sein stehen könnte, die sich öffnet. Und einmal sah es nur wie ein Streifenhörnchen im Pyjama aus.

Ein paar Wochen vergingen, ohne dass der Gast ins Café kam. Emilia vermisste ihn ein wenig.

Als sie ihn gerade so gar nicht mehr erwartete, kam er mit strahlendem Gesicht in den Gastraum. “Ich hab’s getan, ich habe die BrĂĽcke ĂĽberschritten!”, sagte er. “Ich habe den alten Job gekĂĽndigt und ein neues Angebot angenommen. Es war wie eine TĂĽr, die sich unerwartet öffnet. Wissen sie, der Kaffeeschaum mit ihren Deutungen hat mir irgendwie den Weg gewiesen.”

Emilia zwinkerte. “Ach, man sieht doch nur, was sie sowieso schon wussten.” Und damit stellte sie wieder einen Latte macchiato vor ihn hin. Während der Schaum in seiner Tasse neue Geschichten formte, fragte sich der Gast, ob vielleicht doch mehr Magie und ein bisschen Zauberei im Kaffee steckte.

© Fabiennne 2025-02-18

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