Kaninchen vor der Schlange

Narzisstenkind

by Narzisstenkind

Story

“Dir zreißt’s ja den Schädel.” Einer seiner Lieblingssätze, die er fast mantraartig immer und immer wiederholt. Es ist seine Masche, die er aufsetzt, seine Worte drücken Besorgnis aus, aber sein Gesicht tut das nicht. Er sagt (sinngemäß): du musst auf dich aufpassen, du schadest dir selbst, du mutest dir zuviel zu. Er meint: du verbringst zuviel Zeit mit Dingen die meiner Ansicht nach völlig unwichtig sind und nimmst dir zu wenig Zeit für das einzige was zählt: für uns.

“Dinge, die” (seiner Meinung nach) “völlig unwichtig sind” sind in diesem Fall meine berufsbegleitende Ausbildung. Meine Pensionsvorsorge. Meine Investition in meine Zukunft.

Wenn ich es anspreche spielt er auf Wut, Opfer und macht auf verletzt, bin ich undankbar, bilde mir alles ein, was für eine Frechheit ihm, der nichts als Liebe für mich empfindet und nur das Beste für mich will (er ist allerdings der einzige, der einschätzen kann, was das Beste für mich ist – Anm. d. Red.), so etwas zu unterstellen. Sie machen sich ja nur Sorgen, man sieht es ja, wie soll sich das denn alles ausgehen, und Sport sollte ich ja dann auch noch machen. Mit einem wirtschaftlichen Beruf ist das ja dann auch alles nicht mehr zu vereinbaren, hängt er noch schnell en passent hintendran. Was es bedeutet ist: im übrigen du machst deinen Job nicht gut genug.

Eine Grenze gibt es nicht. Je nach Bedarf ist er mein Vater oder mein Chef. Wo auch immer er will bringt er welches Thema auch immer er möchte aufs Tapet. Privates im Büro und umgekehrt, es ist ja sein Recht, er, als geschäftsführender Eigentümer, mit seinen Angestellten, seinen Leibeigenen, zu reden worüber er will. Das wichtigste ist immer der Kunde, dem muss das Leben untergeordnet werden außer bei ihm ist der Rasen zu mähen, dann ist es sein Rasen.

Vorwurfsvolle Besorgnis ist ein toxischer Cocktail. Er will mich dazu bringen, mich wie ein verantwortungsloser Teenager zu fühlen, der wegen Komasaufen am Wochenende den vielleicht letzten Geburtstag der kränkelnden Oma verpasst. Schuldgefühle, mein zweiter Vorname. Doch diesmal nicht, mein Freund. Ich kämpfe und kämpfe gegen diese Stimmen, den ganzen Tag.

Ich habe ein Recht auf meine Entscheidungen. Ich habe ein Recht auf mein Leben. Ich bin nicht verantwortlich für das Glück meiner Eltern. Ich bin nicht verpflichtet, immer, jederzeit und auf Abruf da zu sein. Ich bin nicht die Therapeutin oder Mediatorin meiner Eltern und ich bin auch nicht verantwortlich dafür, ob sie genug Essen oder verantwortungsbewusst autofahren um zu überleben.

Diese maskierte und subtile Manipulation ist von allen Dingen das schlimmste. Es ist fast nicht möglich sie von echter Besorgnis zu unterscheiden. Sie hat mich mürbe gemacht, misstrauisch. Zum Kaninchen vor der Schlange, oder vor dem Basilisken, der mir das Sehen, das Erkennen gestohlen hat. Misstrauisch und blind gleicht sich Manches sehr, obwohl es im Kern unterschiedlicher nicht sein könnte.

© Narzisstenkind 2021-05-11

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