by Katja Fink
Was zu Beginn vielleicht wichtig zu wissen sein könnte, ist, dass nicht unbedingt alles was in den folgenden Kapiteln geschrieben steht vollkommen der Wahrheit entspricht. Belustigender Weise jedoch mehr als man vermuten würde. Ich hoffe trotzdem nach wie vor, dass meine alten Mitbewohner das hier niemals in die Finger bekommen werden.
Eigentlich fing alles damit an, dass ich zuhause ausziehen wollte. Flügge geworden, wie das doch nicht mehr allzu junge Küken, welches ich mit meinen 26 Jahren war, suchte ich dem modernen Zeitgeist entsprechend nach einer WG.
Mit dem Gedanken „besser gleich richtig als gar nicht“, suchte ich über diverse Internet-Anbieter die größte Wohngemeinschaft in meiner Umgebung die ich finden konnte, ein zwanzig Kilometer Radius reichte für den ersten Auszugsversuch schließlich völlig aus.
Gesagt – getan. Meine Bewerbungsschreiben an etliche Groß-WG’s in der Umgebung wurden mit der Zeit immer skeptischer, die Antworten je nach Tages- und Uhrzeit immer amüsanter.
Doch nach kurzer Zeit wurde ich tatsächlich fündig: Studenten-WG, zehn Bewohner, riesen Bude und innerhalb meines Wohlfühl-Zwanzigkilometerradius. Außerdem in der Beschreibung ein bodenständiges „Joar, chillen, grillen, Kasten killen“.
Überzeugt. Sofort schrieb ich eine aussagekräftige Bewerbung, in welcher ich weitestgehend versuchte nicht durchblicken zu lassen, dass meine Bürokrateneltern mir zwar die unabdingliche Wichtigkeit einer Steuererklärung, jedoch nicht die Regeln eines Beerpong-Tuniers auf meinen Lebensweg mitgegeben hatten.
Meine fehlende WG-Erfahrung machte ich anscheinend durch meinen weiblichen Charme wieder wett. So erhielt ich nach kurzer Zeit eine Antwort und eine Einladung zum „Casting“. Misstrauisch suchte ich die hochgeladenen Bilder nach einer schwarzen Ledercouch ab. Als ich nicht fündig wurde, sagte ich dem Casting schließlich zu. Dabei versuchte ich mich von dem Satz: „Wie cool, du bist übrigens unsere einzige Bewerberin“ vorerst nicht abschrecken zu lassen.
Ein paar Tage darauf dann das Kennenlernen. Aufgrund der zuvor erwähnten Bürokrateneltern bog ich natürlich viel zu früh in die Straße ein in der sich das Haus befand. Beunruhigenderweise lag dieses mitten in einem Industriegebiet, weshalb meine Gedanken erneut um die Ledercouch zu kreisen begannen.
Ich klingelte und öffnete die videoüberwachte Eingangstüre. Den Treppen nach oben folgend, fand ich mich vor einer knallrot gestrichenen Wohnungstür wieder. Mit den Worten „Einfach reinkommen, hier ist eh nie abgeschlossen“, wurde ich von einem jungen Mädchen etwa Mitte zwanzig begrüßt. Niemals dürfte meine Mutter das erfahren.
© Katja Fink 2023-07-15