Rotlicht flutete den Friedhof und ließ im dichten Nebel das alte Gestein wie in Blut getaucht erglühen.
Sophie spürte kalte Finger nach ihr greifen, sie an den Schultern packen und dazu schnöde Beileidsbekundungen in ihren Ohren. Lasst sie doch für viel Geld in die Zeitung drucken, wie alle anderen auch, dachte sie. Sophie schloss die Augen und lauschte dem Klang von hundert Absätzen, die zornig und haltlos auf das Pflaster prallten. In ihren Gedanken stand sie in einem Wald aus Stelzen: Schmucklose, dünne Stangen wandelten auf unsichtbaren Routen durch das trübe Rot. Manche verfehlten sie nur knapp. Die Oberkörper tief im Grau des anbrechenden Tages verborgen, suchten die Artisten Schutz vor den grotesken Szenen zu ihren Fasen.
Vielleicht waren sie zu weit gegangen. Antonias Eltern sahen hervorragend aus. Auch, wenn sie mit dem Motto der Veranstaltung nichts anzufangen wussten. Antonias Freunde jedoch hielten sich an den skurrilen letzten Wunsch. Sophie entließ die Artisten ihrer Fantasie in den Dunst und betrachtete die nasse Erde, Grabsteine und gut gekleideten Menschen.
Eine sexy Beerdigung sollte es sein, darüber waren sich Antonia und Sophie stets einig gewesen. Wer zuerst stürbe, würde sie ausrichten müssen. Und weil sie es in einer Gewitternacht zum Film Tanz der Vampire schriftlich festgelegt hatten, fühlten sich nun selbst die ältesten Herrschaften auf der Veranstaltung verpflichtet, ihren besten Schmuck anzulegen.
Die Durchführung einer solchen Veranstaltung erregte gewaltig Aufsehen und so glomm vor den Toren des Friedhofs der Nebel im Blitzlicht vieler Kameras. In Anbetracht der scheußlichen Umstände aber beschwerten sich weit weniger Menschen als gedacht über die besondere Interpretation Antonias letzten Weges. Gebettet in ein genormt großes Erdloch, sollst du leben, Antonia, Hochleben.
Vicky und Liv stachen aus der Menge hervor. Liv trug ein neongelbes Kleid mit dünnen Trägern und gleichfarbigen Pumps. Vicky war blass wie der Mond und der matte Lippenstift stanzte ein schwarzes Loch aus ihrem Gesicht. Sie lehnte an der Kapelle und verschwamm im weinroten Samtkleid mit Blutnebel, Blitzlicht und Mauerwerk. Beide betrachteten die schwarz gekleideten Grüppchen trauernder Menschen. Sie fühlten sich fehl am Platz, doch glänzten.
Es war kalt. Viele spürten es, aber niemand fror. Gunnar trug Strapse. Seine Beine waren glatt wie Eis. Seine Schmerzmatrix war offenbar um eine Bekanntschaft mit Kaltwachsstreifen reicher. Antonia war tot, doch die Lebenden waren taub.
Als der Sarg nach draußen getragen wurde, erhellte sich die Grube. Knapp einhundert Menschen jagten Flammen an die Spitzen ihrer eiskalten Kerzen. Teelichter in flachen Kinderhänden, weiße Stilkerzen für Familienangehörige, Rote für Freunde und Anteilnehmende. Der warme Schein trieb den Terror aus allen Gesichtern, setzte abertausende Wassertropfen in Brand und leuchtete Antonia den letzten Weg. Symbolisch, denn ihr Körper wurde nie gefunden. Doch die Tränen waren echt, die Liebe, das Licht, die Rufe eines Kuckucks in der Ferne und das Klopfen der Spechte im Wald.
© Sandra C. Müller 2023-09-01