“Ella! Aufstehen, du Langschläferin. Es gibt Essen!” Ella schreckte hoch. Sie war schweißgebadet und fand die Orientierung erst nach einigen schweren Atemzügen wieder. Sie lag in ihrem weichen Bett und die Schritte im Gang wurden immer lauter. Dann klopfte es an ihrer Zimmertüre. “Ella, es gibt dein Lieblingsessen. Kommst du runter?”, hörte sie ihre Mutter fragen. Ella wusste ganz genau, was ihre Mutter mit ihrem Lieblingsessen meinte. Schnitzel.
“Ich ich ich bin …”
“Weiß, als hättest du einen Geist gesehen? Ja, da muss ihr dir recht geben Ella. Hast du schlecht geträumt?” Ella brach in Tränen aus. Langsam kamen alle Erinnerungen an ihren Traum wieder hoch und sie begriff, wessen Leben sie in ihrem Traum gelebt hatte. Ihre Mutter setzte sich zu ihr ans Bett. “Schätzchen, was ist denn los? Dir passiert nichts, ich bin ja hier bei dir”, wurde Ella beruhigt. Ella weinte weiter und sie wusste, die Tränen die regelrecht aus ihren Augen schossen, gehörten jemand anderen. Sie gehörten Rosé. Einem mutigen, aufrichtigen, liebenden und leidenden Mädchen. Einem unschuldigen Mädchen. Diese Tränen gehörten der Erkenntnis, dass Menschen, wie auch sie selbst, jeden Tag von Gleichberechtigung reden, Gleichberechtigung aber keinen einzigen Tag leben. Rosé und ihre Familie wurden anders behandelt, gequält, missbraucht und anschließend eiskalt getötet. Und warum das alles? Weil über Gleichberechtigung nur gesprochen wurde. Rosé war sich sicher gewesen ein Mensch zu sein, denn immerhin hatte sie Gefühle. Sie spürte die Liebe ihrer Mutter und den Schmerz, als man sie ihr wegnahm. Rosé hatte Angst, als sie auf sich alleine gestellt war und stolz, als sie endlich einmal jemand ernst nahm, ihr in die Augen blickte und sagte, ich höre dir zu. Ella war durchaus bewusst, sie musste das alles nur geträumt haben. Ihr Herz aber sagte ihr, dass sie diesen Traum nie wieder vergessen sollte. Also begann Ella zu erzählen. Sie erzählte den Traum ihrer Mutter am Bett, ihrem Vater in der Küche und auch ihren kleinen Brüdern im Garten. Alle lauschten gespannt ihrer Geschichte und so verbreitete sie sich fort.
…
Und heute?
Heute erzählt Ella ihren Traum noch immer weiter, denn auch wenn es nur ein Traum gewesen war … in jedem Traum steckt bekanntlich auch ein Funken Wahrheit. Und manche Träum entsprechen der Wahrheit so sehr, dass es ganz schön schwierig sein kann, sie jemals wieder zu vergessen. Das kleine Schweinchen Rosé wird Ella jedenfalls ihr ganzes Leben lang in ihrem Herzen tragen und ihre Geschichte wird sie jedem erzählen, der ihr die Zeit schenkt, ihr auch wirklich zuzuhören. Mit ganzem Herzen.
© Franziska Klär 2021-07-27