Kapitel 14: Geheimnisse

Meltem Essiz

by Meltem Essiz

Story

Im Schutze der Dunkelheit, überwältigte ich einen Wächter und stahl ihm seine Kleidung, flitzte hinters Haus, sprang auf das Schieferdach und hievte mich vor die Schiebefenster. Das Büro musste hier oben sein, da alle Häuser hier, nach dem Prinzip ‘Je höher, desto sicherer’, aufgebaut waren. Vorsichtig, öffnete ich die Shoji um einen Spalt, schlüpfte hindurch und wurde erschlagen vom Anblick der vielen Schriftrollen und Bücher. Ich wollte fast Aufschreien vor Frustration, als mir ein Lichtblitz kam.

“Mal, sehen… Nach jener Logik, müsste es hier sein…” und griff nach einem staubigen Buch, das zerfranst und voller Tinte war. Ich zündete eine Kerze an und laß nur Protokolle hoher Geldsummen. Die Bücher vergleichend, bemerkte ich, dass dies das einzige war mit exorbitanten Geldsummen. Es war auch das Einzige eines mir unbekannten Clansiegels: ein Kreis mit sich zwei kreuzenden Linien. Schnell machte ich eine Skizze.

Plötzlich hörte ich die Holzdielen knarren. Jemand kam auf mich zu. Hektisch packte ich alles zusammen und versuchte mich zu verstecken, als ein lautes gegröle von draußen zu hören war. Dann ein harscher Befehlston, dumpfe Geräusche und alsbald rannte auch der gefährlich nahe Wächter zum Krawall.

Ich nutzte die Gelegenheit und schlüpfte rasch aus dem Fenster, hinaus in die Dunkelheit. Ich versteckte mich im Schatten des Hauses, geschützt vor den Straßenlaternen und wartete, bis die Wächter vom betrunkenen Mann abließen, huschte hinüber, warf den Mann über die Schulter und rannte mit ihm fort, ohne bemerkt zu werden.

Als ich mich sicher genug fühlte, legte ich ihn an einer Gasse ab, die gerade noch genug beleuchtet war, um zu sehen, wer er war. Scharf sog ich die Luft ein; es war niemand anderes als Sensei Shojun. Er blickte benommen auf und griff mir an den Kragen. “Ihr schuldet mir erneut Euer Leben”, sagte er und lachte wie verrückt. Er hatte also gewusst, dass ich dahin gehen würde. Ich riss mich brutal aus seinen Fängen und kehrte ihm den Rücken zu, ohne noch einmal nach ihm zu schauen.

Am frühen Morgen ging ich direkt zu Yukina und erzählte ihr, was ich herausgefunden hatte. Ich hoffte mehr in Erfahrung zu bringen, denn sie war wie eine Bibliothek auf zwei Beinen.

“Ich habe dieses Kamon noch nie auf dieser Insel gesehen. Aber dennoch erinnere ich mich vage, es schon mal gesehen zu haben…” Sie erstarrte und hatte wieder diesen glasigen Blick, was immer geschah, wenn die Urahnen mit ihr redeten, die wir normalen, langweiligen Menschen nicht sehen konnten. Sie sagte mir immer, mir dann keine Sorgen zu machen, doch versuchte ich in solchen Momenten, zumindest über ihren physischen Körper zu wachen. Zischend sog sie die Luft ein, ihre Augen waren wieder klar und schauten mich schockiert an.

“Aso-sama! Kann Kaze uns beide tragen?” Leicht verwirrt, über ihre plötzliche Frage, erwiderte ich:

“Ja, das kann er… Aber die Frage ist eher, ob er das auch will.” Wir beide lachten herzlichst über die Eigenwilligkeit des Hengstes.

© Meltem Essiz 2022-08-30

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