by Neo Knieps
Die Tage danach vergingen in einer seltsamen Leere. Eira half ihrer Mutter bei kleinen Arbeiten, lief oft durch die staubigen Gassen der Stadt, sprach wenig. Das Brennen in ihrer Hand war etwas abgeklungen, aber manchmal, in stillen Momenten, meinte sie, das Echo der Flamme noch in sich zu spüren.
Als der Bote kam, trug er das Zeichen der Flammeneinheit auf der Brust. Feierlich überbrachte er Eira einen Brief und gratulierte ihr, bevor er wieder loszog. Als Eira den Umschlag öffnete, fiel ein Siegelring hinaus. Sie hockte sich auf den Boden, hob ihn auf und musterte jedes Detail. Er war kupferfarben und hatte eine flache Seite, auf der eine Einkerbung in Form einer Flamme zu sehen war. Auf der Innenseite stand ihr Name und eine 1. Sie steckte ihn auf ihren kleinen Finger, für die anderen war er zu klein. Dann holte sie das gefaltete Pergament heraus und fing an zu lesen.
Bestätigung zur Aufnahme: Heer der Zesto. Um zuzustimmen, müssen Sie sich am morgigen Tag in der alten Lagerhalle vorstellen, die in der westlichen Siedlung liegt. Pünktlich zum Sonnenaufgang. Zur Bestätigung Ihrer Feuertaufe wurde Ihnen ein Siegelring angefertigt. Diesen müssen Sie nicht abgeben, sollten Sie sich gegen den Eintritt in das Edelste von Zesto entscheiden. Sie finden ihn im selben Umschlag. Solith kennt den Weg.
Am Morgen des Treffens war die Luft schwer und dunstig. Eira ging alleine. Ihre Eltern und Jaolo mussten früh zum Thermischensee, weil sie sich vor Sonnenaufgang einen guten Fang sichern wollten. Der See dampfte bei Morgengrauen, und wer zu spät kam, fand nur noch leere Netze. So war Eira alleine geblieben, ihre Schritte hallten auf den steinernen Wegen, begleitet vom dumpfen Summen der aufziehenden Hitze. Die Sonne hing noch tief, doch das Licht lag schon flirrend auf den Mauern. Etwas mehr als eine Stunde war sie unterwegs gewesen, als sie das Gebäude, zu dem man sie gerufen hatte, vor sich sah. Es unterschied sich deutlich von dem riesigen Aufnahmehaus. Es war kleiner, schlichter, die Mauern kühl und glatt, ohne Verzierungen. Kein Gold, keine Flammenmuster. Nur eine schlichte Tür aus rotem Holz, die matt in der aufgehenden Sonne leuchtete. Eira atmete einmal tief ein, dann drückte sie die Klinke und trat ein.
Eine einzige Frau wartete in der Halle. Groß gewachsen, mit einer Rüstung in dunklem Rot, in die goldene Sonnensymbole eingraviert waren. Ihre Haare waren zu engen Knoten gebunden, und ihre Haltung war so unbeweglich wie eine Steinfigur. “Du bist Eira?”, fragte sie mit rauer Stimme. Eira nickte. “Mein Name ist Kageta”, sagte sie etwas freundlicher. Der Name sagte Eira nichts – bis Kageta nach einer kurzen Pause hinzufügte: “Ich weiß, dass du meine Tochter kennst. Alaea.” Etwas in Eira zog sich zusammen. Nicht aus Angst. Vielleicht aus Nervosität. Sie dachte an Alaeas etwas zu ehrliche Worte, noch immer traf sie die Erinnerung schwer. Kageta trat einen Schritt näher, ihr Blick durchdringend und doch nicht unfreundlich. “Du hast etwas gezeigt”, sagte sie. “Nicht Stärke. Nicht Mut. Aber Klarheit.” Sie schwieg einen Moment, als wäge sie Eira noch einmal ab. “Ich nehme dich mit an die Grenze. Wenn du willst. Ich werde dich selbst ausbilden.”
© Neo Knieps 2025-04-27