Am nächsten Tag begann der Stundenplan mit zwei Stunden Sport. Danach waren wir alle sehr verschwitzt. Daraufhin hatten wir wieder Mathematik. Hier war mir aufgefallen, dass Herr Grinsler nicht schimpfen kann. Robert und Levin schmissen den ganzen Unterricht über Papierkügelchen in die blonden Naturlocken von Wilma, welche genau vor den Jungs saß. Herr Grinsler hatte es gesehen und nur mit einem lässigen und ruhigen Ton gesagt: „Wäre schön, wenn ihr es dann mal lassen könntet.“ Zu guter Letzt hatten wir Deutsch bei Frau Strengser. Sie forderte mich auf, vor an die Tafel, für eine mündliche Leistungskontrolle, zu kommen. Ich sagte ihr, dass heute erst mein zweiter Tag an dieser Schule ist und dass wir dieses Thema noch nicht in meiner alten Schule behandelten. Das war ihr aber völlig egal, weil ich schon alles hätte nachholen können. Deswegen hieß es dann nur noch Augen zu und durch. Wie ich es befürchtete, bekam ich dann die Note 5. Ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht anfing zu weinen. Zum Glück war dann bald die Stunde zu Ende. Fast alle aus meiner Klasse kamen in der Pause zu mir. Jeder Einzelne redete auf mich ein: ,,Frau Strengser ist so gemein!“ „Diese Frau ist der letzte Dreck!“ „Sie versteht gar nichts.“ „Sie hört uns nur zu, wenn wir etwas sagen, was in ihrem Interesse ist!“ Ich musste mich sehr konzentrieren, damit ich alle verstand und einigermaßen wusste, wer gerade etwas sagte. Ich war froh, dass wir an diesem Tag nur einen kurzen Schultag hatten.
Ich ging langsam und traurig nach Hause und machte mir selber die ganze Zeit Vorwürfe, warum ich gestern Nachmittag nicht alles nachholte. Außerdem überlegte ich, wie ich es meiner Mama beibringen sollte, da sie so eine Art von Note bei mir nicht gewohnt war. Wie ich sie kannte, würde sie herum spekulieren, wie das passiert ist. Am Ende könnte sie den Beschluss fassen, dass es ein Fehler war umzuziehen, da ich wahrscheinlich Schwierigkeiten hatte, mich in einer neuen Schule einzugewöhnen. Das wäre völliger Schwachsinn, da ich wirklich meine neue Klasse mochte. Die Wahrheit konnte ich ihr aber auch nicht sagen, denn zu 100 Prozent glaubte sie mir diese nicht. Also beschloss ich, kurz bevor ich an unserer Wohnung angekommen war, dass ich ihr einfach nichts darüber erzähle. Ich sah meinen Hund schon begeistert aus dem 1. Stock des Wohnhauses schauen. Meine Mama öffnete die Tür und ich rief: „Fräulein komm!“ Dann kam auch schon mein Hund freudig auf mich zu. In den nächsten Tagen passierte nichts Besonderes. Das Einzige, was sich geändert hatte, war das ich mich wirklich jeden Nachmittag für den Unterricht des darauf folgenden Tages vorbereitete.
Meine Mama hatte leider noch keine passende Arbeitsstelle gefunden. Darum suchte sie oft im Internet auf verschiedenen Seiten. Sie tat nicht nur das, sondern sie telefonierte auch sehr oft herum. Immer war eine andere Stimme am Ende der Leitung zu hören. Nach einer Woche sagte sie mir, dass sie ab nächster Woche anfängt zu arbeiten.
© Luisa Stielke 2022-07-23