by Jasmin Hein
Nachdem der Mann ebenfalls in einem weißen Einteiler gekleidet ist, kann ich ihn nicht einschätzen. Sein Gewand sagt genauso wenig über seine Persönlichkeit aus, wie meines, was womöglich der Sinn der eintönigen Kleidung ist. Nachdem ich ihn etwas genauer mustere, fallen mir jedoch trotzdem einige Merkmale auf. Er kann nicht sehr viel älter als ich sein. Falls ich mich richtig erinnere, stand in einem der Informationsbögen, dass der Partner maximal zwei Jahre älter ist, demnach muss er Anfang zwanzig sein. Seine Haare sehen sehr gepflegt und frisch geschnitten aus, an seiner Statur erkennt man, dass er Sport treibt und seine haselnussbraunen Augen wirken vertrauenswürdig. Ich bemerke, dass ich wie erstarrt dastehe, als er sich erhebt und mir entgegenkommt. „Damian Wallner. Und du bist…?“, fragt er und streckt mir seine Hand entgegen. Ich räuspere mich kurz und schüttle seine Hand. „Olivia. Olivia Moser“, stelle ich mich vor. „Herr Wallner kann Sie später mit den Räumlichkeiten vertraut machen. Nun nehmen Sie Platz, damit ich Ihnen das Experiment erklären kann“, unterbricht die Universitätsangestellte ungeduldig unsere erste kurze Unterhaltung. Sie sieht so aus, als würde sie noch gerne „Damit ich endlich nach Hause gehen kann.“ hinzufügen. Ich nehme gegenüber von Damian auf einem Sessel Platz und versuche ihn nicht weiter anzustarren. Die nächsten vier Tage werde ich genug Zeit dafür haben. Ich schiebe die Gedanken beiseite und analysiere erneut die Frau, deren Namen ich noch immer nicht weiß. „Wie Sie bereits wissen, werden Sie die nächsten sechsundneunzig Stunden zusammen in diesem Raum verbringen. Um zu duschen und für andere hygienische Tätigkeiten können Sie die Duschen bzw. das Badezimmer in den Umkleideräumen der Sporthalle der Fakultät nutzen. Hierbei wird der Portier Sie begleiten.“ Sie mustert uns prüfend, um sicherzugehen, dass sie verständlich genug spricht. „Das gesamte Experiment ist videoüberwacht. Sie können jederzeit mit uns kommunizieren, jedoch raten wir grundsätzlich davon ab. Wir bitten Sie, Probleme untereinander zu lösen. Der Sinn dieses Experimentes ist es, dass nur Sie beide miteinander kommunizieren.“ Ich schlucke schwer und überlege, was die Frau mit „Problemen“ meinen könnte. Wieso sollten wir Probleme haben? Ein mulmiges Gefühl überkommt mich und ich schlucke den bitteren Geschmack in meinem Mund herunter. Noch immer habe ich keine Ahnung, wofür das Experiment überhaupt gut ist. Ich weiß nichts über meinen Mitbewohner, noch weiß ich etwas über das Thema. Mein Blick schweift wieder zu dem Mann gegenüber von mir, der die ganze Zeit über stumm ist. „Was sollen wir genau tun?“, stelle ich die Frage, die mir, seit ich den Raum betreten habe, auf der Zunge brennt. Die Frau streicht sich eine Haarsträhne aus den Augen. „Danke für die Überleitung, damit kommen wir zum Punkt. Wie Sie bemerkt haben, ist das Thema dieses Experimentes geheim. Sie werden erst am Ende der vier Tage erfahren, worum es genau geht, allerdings werden Sie es bestimmt früher herausfinden.“ Wir nicken im Einklang und sie fährt fort. „Wir werden Ihnen jeden Tag in Form von Briefen Fragen stellen. Diese werden Ihre jeweiligen Aufgaben erklären.“ Sie setzt wieder ihr erzwungenes Lächeln auf und deutet auf einen Korb mit beschrifteten Briefumschlägen. „Wenn Sie einen Brief öffnen sollen, werden Sie mittels eines Signals informiert.“ Ich spüre meinen Herzschlag wieder schneller werden.
© Jasmin Hein 2025-04-11