by Petra Stoik
Michael wurde inhaftiert und Jutta schlug sich nun alleine durch. Sie zog zu einem Heroinjunkie nach Favoriten und zahlte ihm Untermiete. Er war nett und ließ sie in Ruhe. Drogen waren für Jutta kein Thema. Es war eine harte Zeit und sie konnte sich auf niemanden verlassen. Mit Michael durfte sie leider kein Kontakt halten. Keine Briefe, nichts. Michaels Bandenzeiten sollten nun ein Ende finden. Seine Gang bestand größtenteils aus Hooligans des Fußballklubs, Austria Wien. Gemeinsam mit seinem Bruder machten sie so einiges unsicher. Es war die Zeit der sogenannten Zuckerbäcker, einer Gruppierung in der Fankurve der Austria. Vor dieser Truppe, bestehend aus riesigen Hünen, welche einer Zuckerbäckerfamilie entsprungen waren, hatte jeder Respekt. Gehörte man zum Umfeld konnte man in ihrer Nähe tun und lassen, was man wollte. Somit gehörten Auseinandersetzungen mit gegnerischen Fans, an den Wochenenden zur Tagesordnung. Das große Wiener Derby liefert dabei viermal im Jahr die brisantesten Aktionen, ob daheim oder auswärts. Die Rivalität der beiden großen Wiener Vereine kennt in der Fanszene oft keine Grenzen. Als eines der ältesten Stadtderbys der Welt ist es das wichtigste Spiel des Jahres in Österreich. In Wien wächst man entweder als Austrianer- oder RapidlerIn auf. Schon im Kindergarten sind Zankereien da oder dort vorprogrammiert. Vor allem, als Arbeiterkind, wenn der Wohnort nahe der beiden Stadien, am Verteilerkreis in Favoriten oder dem Westen von Wien liegt. Nicht nur im Stadion ging es häufig zur Sache, auch die Wiener Innenstadt war ein beliebter Treffpunkt für Raufereien aller Art. Zu dieser Zeit waren dort die berühmten Mods mit ihren Vespas unterwegs. Man erkannte diese Gruppierung an ihren langen, grünen Parkermänteln und einem unverkennbaren, britischen Modestil. Oft flogen zwischen gewaltbereiten Hooligans und den Mods vermehrt nach Fußballspielen, in der Innenstadt die Fäuste. Aber auch die Popper und Rocker, ebenfalls unschwer am Outfit zu erkennbare Gruppen, waren an Schlägereien interessiert. Meistens eskalierte es am Donnerbrunnen beim neuen Markt. Die Mods wurden im Vorbeifahren von ihren Vespas getreten und die Maschinen danach im Brunnen versenkt. Michael stieg aus und versprach sich all dem den Rücken zu kehren. Die Zellengenossen in Haft lehrten ihn, wie er selbst nie wieder enden wollte. Er dachte viel über das Leben nach. Die Zeit verging und Jutta ergatterte einen guten Kellnerinnenposten, neben dem Raimund Theater, im Café My Love. Vor und nach den Vorstellungen in einem der renommiertesten und schönsten Theater in Wien war das Lokal zum Bersten voll. Das Trinkgeld war dementsprechend gut und zum ersten Mal konnte side ein wenig Geld beiseitelegen. Jutta versuchte auch immer ein Auge auf ihre jüngeren Geschwister zu halten und half, wo sie konnte. Wann würde sie ihre große Liebe Wiedersehen? Wird er ihr den Verrat an die Polizei verzeihen? Jutta dachte täglich daran.
© Petra Stoik 2021-05-28