Nach zwei Raststätte-Aufenthalten machen wir unseren ersten richtigen Stopp. Es ist ein kleiner Ort in Norditalien, in den meine Mutter eingebogen ist. Sie ist die kompletten letzten fünf Stunden alleine gefahren und braucht nun einen Kaffee, um sich wach zu halten. Und gleichzeitig wollen wir ein erstes Italien-Feeling aufnehmen. Wir parken an einer Straße am Berg und laufen ein paar Minuten in den Ort hinein. Das Klima ist hier Mitte Mai schon deutlich angenehmer als in Mitteldeutschland und auch Berlin. Wir haben beide unsere Sonnenbrillen aufgesetzt und laufen durch die Gassen des italienischen Örtchens. Schließlich kommen wir an einen kleinen Platz, in dessen Mitte ein Brunnen steht und am Rande entdecke ich ein Café. „Perfekt“ lächele ich meine Mutter an. Sie lächelt ebenfalls und wir nehmen uns zwei Plätze. „Ich würde einen Espresso nehmen. Und muss eben mal auf Toilette.“ sage ich und gehe direkt in das Café, während meine Mutter die Bestellung aufgibt.
Als ich zurückkomme, bleibe ich im Türrahmen des Cafés stehen. Ich beobachte meine Mutter, wie sie an unserem Zweiertisch sitzt. Die beiden Espressi wurden bereits serviert und dampfen vor sich hin. Sie sitzt entspannt zurückgelehnt in ihrem Stuhl und lässt die Sonnenstrahlen in ihr Gesicht scheinen. Am Tisch nebenan sitzt eine Gruppe italienischer Männer. Sie sind schon älter und arbeiten vielleicht nicht mehr. Sie wirken, als wären sie häufiger hier. Sie unterhalten sich lautstark auf Italienisch, klopfen sich auf die Schulter und lachen viel. Sie wirken vertraut und die Stimmung ist fröhlich. Meine Mutter lächelt vor sich hin in die Sonnenstrahlen hinein. Während ich sie so sehe, merke ich, wie meine Mundwinkel nach oben wandern. Sie sieht zufrieden und friedlich aus. Dieses leichte südländische Gefühl, das dieser Ort und die Menschen vermitteln, ist ein ganz anderes als in meinem Heimatort. Dort gibt es zwar ebenfalls Gruppen, die sich wie diese Männer regelmäßig zum Kaffee oder anderen Aktivitäten treffen, aber dabei geht es hauptsächlich um Dorf-Tratsch. Meine Mutter hat auch einen Freundeskreis aus vier weiteren Frauen, die es lieben sich den Mund über andere Menschen zu zerreißen. Dann wird erzählt, welche Gespräche man bei seinen Nachbarn belauschen konnte, wer im Dorf angeblich Alkoholiker ist oder wer seine Frau betrogen hat. Es ist eine Atmosphäre von Neid und Missgunst. Ganz anders als hier.
Ich gehe an den Tisch zu meiner Mutter zurück und setze mich neben sie. „Danke fürs Bestellen.“, sage ich, während ich den ersten Schluck meines Espressos trinke. Er ist stark und sehr gut. „Das ist ein wirklich schönes Café hier.“, rede ich weiter. „Ich war schon mal hier.“, erwidert meine Mutter und ich kann wieder sehen, wie sich ihre Mundwinkel direkt nach oben ziehen. „Du warst schon mal hier? Wann das denn?“ frage ich überrascht. „Es ist schon ewig hier. Wie alt war ich da? Es muss auf jeden Fall vor deiner Zeit gewesen sein.“ überlegt sie. „Ich war damals mit Kat hier. Wir haben einen Roadtrip durch Italien gemacht. Acht ganze Wochen lang.“
© Carla Sobieray 2023-08-30