by Ryhane Nuri
Meine Augen öffneten sich wieder in unserem eigenen Haus. Ich war allein, in meinem Bett, und enttäuscht darüber, in diesem Leben aufzuwachen. Obwohl ich nur auf meinem Bett lag, spürte ich die Last, die die Welt mir auferlegt hatte. Es fühlte sich an, als hätte sie mich ausgesucht, um sie zu tragen.
Ich war müde. Schwach war ich nicht, aber ich brauchte dringend jemanden bei mir, jemanden, der meine Hände in seine nahm und mir sagte, dass alles gut werden würde.
Während eine Träne über meine Wange lief, stand ich auf. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es schon … 14 UHR?! Wie hatte ich es geschafft, so lange zu schlafen? Früher war ich selbst an freien Tagen um acht Uhr hellwach.
Mit einem tiefen Atemzug verließ ich mein Zimmer. Draußen war es still, fast gespenstisch. Es schien, als wären meine Eltern noch nicht zurück. Ich machte mir ein Toast zum Frühstück und räumte die Küche ein wenig auf.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich schon seit einer Woche nicht mehr zur Schule gegangen war, einem anderen Gefängnis. Ich nahm mein Handy und wählte die Nummer meiner Freundin Leyla. Nach viermaligem Klingeln ging sie endlich ran
„Leyla, wie geht’s?“
„Was ist, Selin?“, hörte ich sie genervt am anderen Ende der Leitung.
Die kleine positive Energie, die ich in den letzten zehn Sekunden mühsam aufgebaut hatte, löste sich sofort in Luft auf.
„Ich …“, murmelte ich. „Wollte dich fragen, wie es dir in letzter Zeit geht. Ich weiß, von mir war in letzter Zeit nicht mehr viel zu hören, aber …“
„Mir ist es langsam echt egal, weißt du“, unterbrach sie mich. „In der Schule kommst du auch nicht. Ich habe dich seit dem Tag, an dem deine verrückte Mama mich aus eurem Haus rausgeschmissen hat, nicht mehr gesehen. Und anrufen hattest du auch nicht nötig, warum jetzt?“
Ich wollte ihr so gern etwas entgegnen, weil sie meine Mutter so genannt hatte. Doch sie hatte recht. Also legte ich einfach auf. Eine Träne lief meine Wange hinunter, aber ich wischte sie schnell weg.
Konnte ich glücklich sein, wenn alles anders wäre? Wollte ich überhaupt noch glücklich sein? Es hatte seine Bedeutung verloren. Glück, das war etwas, wonach man sich sehnte, weil man wusste, wie es sich anfühlt, und es deswegen wollte. Aber ich war nie glücklich gewesen. Deren Geschmack hatte ich nie gekostet.
Gegen Abend kamen sie zurück. Meine Eltern, meine ich. Ich war gerade in der Küche, als ich ihre Schritte hörte. Sie gingen direkt in ihr Schlafzimmer.
„Hallo“, sagte ich laut, doch in meinem Kopf fügte ich hinzu: „Ich bin auch da.“
© Ryhane Nuri 2025-01-08