* Karl *

Heinz-Dieter Brandt

by Heinz-Dieter Brandt

Story

Karl Brunke hatte sich mit seinem Leben in der DDR und dem Sozialismus irgendwie arrangiert. Er hatte immer und zu allem “ja” und (etwas leiser) “amen” gesagt, hatte ein auskömmliches Leben als Pförtner in einem Warenhaus und wollte mit Politik eigentlich und überhaupt nichts zu tun haben.

Als die Mauer fiel, war Karls Job als Kaufhauswächter weg und mit ihm das ganze Kaufhaus. Es wurde einfach geschlossen, was nicht weiter schlimm war, denn es gab ohnehin immer mehr Personal als Waren. Ohne Kaufhaus kein Pförtner, ohne Pförtnerjob kein Geld. Diese einfache Regel des Kapitalismus hatte Karl sehr schnell begriffen.

Als dann die Kasernen der Russen und der NVA aufgelöst wurden, blühten in der DDR die Tauschmärkte: Russenmützen und Orden für Nostalgiker, Kalaschnikows und Armeepistolen für aufstrebende Mafia-Clans, Armeefahrzeuge für Museumsvereine, alles gegen Westgeld. Karl besorgte sich eine zerschlissene NVA-Uniform und holte eine heruntergekommene Feldküche ab, ohne Westgeld. Erstens hatte er keins, zweitens stand sie unbewacht in einer Ecke der Kaserne. Und weil Feldküchen selten allein fahren, nahm er gleich noch den vorgespannten Wagen, einen Barka, mit.

Beides stellte er auf einen verlassenen Parkplatz im Jerichower Land, gut hundert Kilometer von Berlin entfernt, besorgte sich im Großhandel ein paar Dosen Erbsensuppe, Kartoffeln und Wiener Würstchen, rührte alles zusammen und bot nun einen deftigen Eintopf an. Am nächsten Tag holte er aus dem Offiziersheim einer NVA-Kaserne Geschirr, Tische und Stühle und machte daraus ein Open-Air-Schnellimbiß-Restaurant auf dem Parkplatz.

Nachdem er auch noch Hinweisschilder angebracht hatte, brauchte er nicht lange auf hungrige Gäste zu warten. Eintopfessen war und ist in beiden deutschen Staaten beliebt. Und da die Natur der Kiefernwälder rund um Berlin immer hungrig macht, was ebenso für Mensch wie für Tier gilt, hatte Karl schon wenige Tage später weitere, wenn auch scheuere Gäste, weil er die Essensreste zur Freude vor allem der Wildschweine in den Wald kippte.

Nun ist bekannt, dass die Gastronomie an den Bundesautobahnen einschließlich der zur Verfügung stehenden Toiletten strikt in der Hand einiger weniger liegt. Die Höhe des abzuschöpfenden Gewinns schraubt auch die Restaurantpreise in astronomische Höhen.

Wer also von der Autobahn abfährt und nur drei Kilometer weiter auf der Landstraße eine Erbsensuppe für ein Zehntel des Preises der Autobahnraststätte bekommt, hat seinen Hunger und den Wunsch nach einem Schnäppchen gestillt, minimiert aber andererseits die Gewinnspanne der Autobahnraststätten nur unwesentlich. So dachte Karl. Nicht so die Raststättenbetreiber.

Nun wäre es für die Raststättenbetreiber ein Leichtes, Karl und sein Erbsensuppen-Restaurant im Freien anzuzeigen, was sicher erfolgreich wegen Nichteinhaltung behördlicher Auflagen ausgehen würde, denn Karl hatte sich darüber keine Gedanken gemacht. Besser wäre es aber, ihn in ihre Überlegungen zur Gewinnabschöpfung einzubeziehen. Sie entschieden sich für Letzteres.

© Heinz-Dieter Brandt 2025-02-13

Genres
Suspense & Horror
Moods
Dunkel, Komisch, Angespannt