Warum muss ich erwachsen sein? Mit sechzehn heißt es: werde mal erwachsen. Mit achtzehn: du bist jetzt erwachsen. Doch vom Leben hat man noch keine Ahnung. Schule noch nicht fertig, aber ich bin achtzehn und erwachsen.
Wenn Freunde zu Besuch sind, wird das Lieblingskuscheltier schnell im Schrank versteckt. Es ist nicht altersgemäß. Man würde nicht ohne den Lieblingskuschelhasen ausziehen, aber vor Freunden zugeben, dass man nicht so erwachsen ist, wie man tut, bloß nicht. Wie uncool wäre das denn? Ist man allein, nur für sich, da darf man Kind sein. Ich bin alleine auf dem Spielplatz. Mit 24 Jahren eigentlich zu alt. Keiner da, niemand schaut. Wie gerne ich geschaukelt bin, kommt mir in den Sinn. Ich setze mich hin und fange einfach an. Höher und höher. Vor und zurück. Mein Kind in mir lacht. Es tut gut. Ohne das mich jemand sieht, kann ich wieder Kind sein. Zugeben, dass man immer noch gerne Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg hört, das geht nicht. Ist nicht erwachsen.
Man ist nur erwachsen, wenn man spart. Für eine Waschmaschine oder für den neuen Staubsauger, man fährt einkaufen. Überlegen, welche Versicherungen brauche ich, was koche ich am Abend? Wie sollte die Woche gestaltet werden? Neben der Arbeit möchten Freunde dich sehen. Aber eigentlich will man nur lesen. DOch das kommt nicht gut. Allein sein sollte man nicht. Alleinsein heißt, man kapselt sich ab, hat keine Hobbies. Lesen ist eines, interessiert aber nicht. Man ist erwachsen.
Nein, Kind sein ist irgendwann nicht mehr erlaubt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Kinder als zukunftssichere Anlagen gesehen werden, notwendig, damit wir im Alter durch sie versorgt werden. Sie dürfen irgendwann auch kein Kind mehr sein. Alles wird genau analysiert, ob es dem Alter entspricht. Will ich das?Ich muss arbeiten gehen. Wenn es regnet, kann ich nicht in die Pfütze springen. Meine Klamotten für die Arbeit könnten schmutzig werden. In Pfützen springt man nur mit vier oder fünf Jahren.
Wer sagt, was wann erlaubt ist und wann nicht? Die Gesellschaft sollte nicht so sein. Sie sollte individuell sein, bunt und fröhlich lachend.
Wenn ich schaukeln möchte, schaukle ich. Wenn ich ein Hörspiel hören möchte, höre ich eines. Es dauerte, aber ich habe gelernt: Ich bin ich und nur so kann ich mein Bestes geben. Kind sein, obwohl man schon Ü18 ist, kein Problem. Liegt Laub auf dem Boden, scheuche ich die Blätter mit dem Fuß hoch und renne lachend in einen bunten Regen. Ich schmolle, wenn mir etwas nicht passt und auch die Pfützen sind am Wochenende nicht vor mir sicher. Arme ausgebreitet, Gesicht in den Himmel streckend, lasse ich den warmen Sommerregen auf mich niederprasseln. Ja, das machen eigentlich Kinder, ja auch ich mit 27 liebe es, im Regen zu stehen.
Jeder darf Kind sein.Man muss es sich bewahren. Als Kind war vieles leichter, man sorgte sich weniger. Mit dem Alter kam das Erwachsenwerden. Mit jedem Alter kommen die Sorgen. Mit dem Alter kommt die Weisheit: das Kind muss erhalten bleiben.
© Michelle Weber-Risse 2022-07-30