Kindheit

Fay Linda Jussel

by Fay Linda Jussel

Story

Ich wurde zu Hause auf die Welt gebracht. Hausgeburt. Achziger Jahre.

Meine Eltern waren nicht verheiratet, aus der Kirche ausgetreten. Mitten im Waldviertel, Einzellage, ohne Strom. Ohne WC. Ein Plumpsklo. Sie kamen aus dem Westen, sie sprachen eine andere Sprache, die niemand verstehen konnte. Sie hätten zwar wie die Ureinwohner ausgesehen (Haut- und Haarfarbe), aber das kaschierten sie mit verrückten Fetzen – Kleidung, die wie ihre Sprache, niemand verstand.

Manchmal lese ich in Büchern über Kindheitserinnerungen aus der Nachkriegszeit. Es ist verrückt, wieviel ich davon erlebt habe, obwohl ich 30 Jahre später geboren bin.

Meine Kindheit war wunderschön, auch ohne den Schnickschnack wie Strom oder Toilette im Haus. Ich fühlte mich so wohl mitten in der Natur, zu Hause, ich wollte nicht einmal in den Kindergarten, und da meine Mutter zu Hause war und es noch keinen Pflichtkindergarten gab, konnte ich einfach nein sagen. Ich war so ein Kind, das sich richtig gut selbst beschäftigen konnte. Ich war gern alleine. Ich spielte gern allein.

Als ich in die Schule kam, verstand ich niemanden, denn ich sprach einen anderen Dialekt. Ich sah auch anders aus. Ich sah nicht normal aus. Und während der Religionsstunde musste ich in die Nebenklasse, wobei mir der Dorfpfarrer (gleichzeitig Religionslehrer) noch im Vorbeigehen mitteilte, ich würde ins Fegefeuer kommen. Heidin. (Immerhin gegendert). Gut, dass ich mir damals schon sicher war, dass das “Fegefeuer” sicher nur so ein Christendings ist, das mich nichts angeht. Denn so bemüht meine Mutter war, mir Gott schmackhaft zu machen (ohne Kirche), ich hatte nie das Gefühl so was zu brauchen (Schnickschnack).

Ich hab mich aber schnell in dieses (Schul)System eingefügt. Ich war zwar immer anders, aber das störte niemanden, im Gegenteil, ich war interessant. Ich besuchte einige Freundinnen und sah mir ihre Häuser an, ihre Vorgärten, die Autos. Und wenn ich dann nach Hause kam, war ich wieder im Nest. Meine Eltern waren Freaks. Sie wollten so leben. Ohne alles. So wenig wie möglich. Es war ihre Überzeugung. Es war ihre Entscheidung. Sie blieben unter sich.

Es gab noch andere aus dem Westen, und in den Sommerferien war alles voll mit Freunden und deren Kindern. Der ganze Sommer war wie Sommercamp. Ich fand das immer schön. Und auch die Kinder waren anders, als die hiesigen. Aber ich merkte schnell, dass ich auch bei denen anders war. Ich konnte zwar ihre Sprache, aber ich kam nicht aus den Bergen, konnte nicht Skifahren oder bergsteigen, ich gehörte nicht dazu. Aber ich war interessant. Anders.

Ich habe nie wirklich wo dazugehört. Ich fühlte mich immer ein bisschen fremd/anders/verrückt.

Nur war das für mich nicht schlimm. Für mich fühlte sich das immer wie Einzigartigkeit an und das fühlt sich nicht nur einsam an, sondern ziemlich geil (Epic and awesome).

Später dachte ich mir oft, wenn ich eine andere Hautfarbe auch noch gehabt hätte, wäre alles anders gewesen. Und das ist scheisse.

© Fay Linda Jussel 2022-09-27

Hashtags