Kognitive Dissonanz

Lucas Koralka

by Lucas Koralka

Story


Kognitive Dissonanz nennt man es, wenn beispielsweise eine Überzeugung mit einem Gefühl kollidiert. Im männlichen Genom gibt es etwas, das in einer zivilisierten Welt furchtbar abstoßend wirkt, nämlich die Lust am Kämpfen und in den Krieg zu ziehen. Auch ich war davon nicht verschont geblieben, dabei will ich weder sterben, noch töten; ich will durch die Hölle gehen, wissend dass sie mich läutern wird. Vielleicht ist es das. Andererseits wollte ich immer etwas erleben, das mein Leiden rechtfertigt, aber auf die Ernüchterung, die der Erfüllung meines Wunsches folgen sollte, war ich nicht gefasst.
Ich begann ein Buch zu schreiben, in dem ich die Freunde des Protagonisten sterben ließ und ihn selbst nur knapp mit dem Leben davon kommen, um ihn resilient zu machen. Kurz darauf starben die ersten Leute aus meinem Umfeld, teilweise gute Freunde. Das war nicht, wie ich mir meine Hölle vorgestellt hatte, als einen verkalkten Gedankengang, ein verschnürtes Taschenuniversum mit verwirrenden Gefühlen und Gedanken, die ich nicht mit in meine Welt bringen durfte, ohne dass sie Hausschuhe anzogen. Nichts, was in meinem Kopf geschah, schien richtig zu sein.
Ich schrieb, dass meine Geschichte die Geschichte eines Geistes sei und das stimmt. Mehr denn je träumte ich tagsüber, um nachts zu erscheinen. Ohne das blendende Tageslicht durchlebte ich lange Nächte der absoluten Klarheit. Wenn ich einschlief, konnte ich mich am nächsten Morgen nicht an meine Träume erinnern, aber so war es schon immer gewesen. Wenn ich aus den Alpträumen aufschreckte, schwitzte ich Blut. Hämhidrosie wird das genannt. Tagsüber war ich also wieder müde, so dass ich mein Leben verträumte. Ich stellte mir eine Nymphe vor, die mit Schmetterlingen sprach und deren Schlaf im Moosbett von einem weißen Hirsch bewacht wurde. Mit der Zeit wurde sie so real, dass ich mich in sie verliebte und der Trennungsschmerz war groß, wenn mich jemand ansprach, oder der Verkehr zu laut war.
Ich konnte nie gut reden, also schrieb ich schon in jungen Jahren Prosa. Ich schrieb über jede meiner Manien, so auch über die Schmetterlingsfrau. Doch was alle meine Bücher gemein hatten, war, dass ich sie nicht beendete. Bei diesem Buch war ich mir sicher gewesen, dass ich es beenden würde, dann kam mir die Idee mit den Toten.




© Lucas Koralka 2024-08-31

Genres
Novels & Stories
Moods
Mysteriös, Reflektierend