Könnt ihr mich alle sehen? 7

Marcel Becker

by Marcel Becker

Story

RĂĽckkehr

Als die ersten Mitarbeiter zurĂĽckkehrten, war die Freude riesig. Umarmungen und Lachen erfĂĽllten die BĂĽros, die so lange kalt und leer standen. Robert sah, wie Anne mit anderen Kollegen plauderte und diese es sich gut gingen lieĂźen. Jens stellte seine neue App vor und das Team feierte es wie die Premiere des ersten iPhones.

Er beobachtete Thomas, der nicht so auffällig laut und im Mittelpunkt des Raumes stand, wie er es sonst immer getan hatte. Er stand ruhig, nachdenklich und beobachtend, fast demĂĽtig, an die Wand gelehnt und hörte anderen beim Gespräch zu. Es war offensichtlich, dass die Pandemie ihm etwas genommen hatte – aber sie hatte ihm definitiv auch etwas gegeben.




Inmitten all dieser neuen Veränderungen dachte Robert daran, wie wichtig der Zusammenhalt war und wie nervös er am Anfang des Lockdowns gewesen war, dass das Team und die Firma das vielleicht nicht überstehen würden.

„Wir haben das gemeinsam geschafft“, sagte er, als er sich umsah und in die leuchtenden Gesichter seiner Mitarbeiter blickte. „Die digitale Welt hat uns gefordert, aber wir haben es gemeinsam gemeistert und uns nicht entzweien lassen. Am Ende hat sie uns sogar näher zusammengebracht”, sagte er mit einem Blick auf Anne und Thomas, die aneinander gelehnt im Türrahmen standen.

Wie ironisch, dachte er bei sich. Der selbstbewusste Playboy und die kreative Einzelgängerin, die zuvor kaum etwas miteinander zu tun gehabt hatten, waren plötzlich unzertrennlich. Die Pandemie hatte einiges verändert – und definitiv nicht alles zum Schlechteren. Thomas hatte wohl gelernt, dass Stärke nicht nur im Alleinsein lag, sondern auch darin, sich zu öffnen und UnterstĂĽtzung zuzulassen. Und so schloss er seine Rede mit den Worten: “Lasst uns die Lektionen, die wir gelernt haben, mit in die Zukunft nehmen.“
Das Team applaudierte und stieß mit den Sektgläsern zusammen an. In diesem Moment wusste Robert, dass die Verbindung, die sie geschaffen hatten, trotz der Distanz, die sie durch das Homeoffice erlebt hatten, stärker geworden ist, als sie im normalen Büro jemals geworden wäre. Die Herausforderung hatte sie geprägt, zusammengeschweißt und vor allem auch das Bewusstsein geschaffen, wie wertvoll menschliche Interaktion und Unterstützung in schwierigen Zeiten sein können. Die Zukunft war wie immer ungewiss, aber gemeinsam waren sie bereit, diese zu formen. Oder in Annes Fall, zu töpfern.


© Marcel Becker 2024-12-20

Genres
Novels & Stories
Moods
Herausfordernd, Komisch, Hoffnungsvoll