Kurz vor drei nachts

M_Ellie_Sue

by M_Ellie_Sue

Story

Du liegst wach. Mal wieder. Du starrst an die Decke. Schon wieder. Dank der Straßenlaterne, deren Licht durch die Rolloschlitze schaut, kannst du sogar die feinen Unebenheiten im Putz der Decke erkennen. Oder siehst du sie nur, weil du genau weißt, wo sie sind? Lampen diverser Elektrogeräte beleuchten die Wohnung. Der Schein stiehlt sich über den Flur durch die offene Schlafzimmertür. All das Licht stört dich nicht. Vielmehr beruhigt es dich, hilft dir, dich zu orientieren, wenn du zum dritten Mal in der Nacht aufwachst. War es ein Geräusch, das dich aus dem Schlaf riss? Und wenn ja, war es real oder gehört es eigentlich der Traumwelt?

Neben dir wird leise geatmet. Das Nachbarskind über dir hat sicher gleich wieder den üblichen Albtraum und beginnt sein nächtliches Klagelied. Irgendwo in der Wohnung knackt etwas. Doch du kannst nicht aufstehen. Du bist so müde, obwohl deine Augen offen sind. Lähmende Erschöpfung trifft Unruhe und die beiden beginnen den Kampf um die Vorherrschaft in deinem Körper.

Währenddessen starrst du weiter an die Decke, lässt den gerade erst geendeten Tag Revue passieren. Hättest du doch lieber …? Oder wäre es besser gewesen, wenn …? Vergangenes lässt sich nicht ändern, sagt man. Stimmt auch. Aber warum denkt man dann so viel darüber nach? Du verstehst es nicht und richtest deine Gedanken auf den bevorstehenden Tag. Was steht alles auf dem Plan? Beim Gedanken daran würdest du gerne die Augen schließen und wieder einschlafen. Dem Tag noch ein Weilchen entfliehen. Doch über dir weint das Kind. An der Straße vor deinem Fenster hält ein Wagen. Der Motor läuft um die Wette mit stupiden Technobeats. Wieder einmal fragst du dich: Wieso stehen die immer ausgerechnet vor diesem Fenster? Und warum um diese Uhrzeit? Wer geht da weg, wer kommt da erst heim?

Deine Intuition ist eine Uhr und sie flüstert dir zu, dass es kurz vor drei ist.

In die Kakophonie deines persönlichen Grauens mischen sich nun auch das monotone Brummen des Kühlschranks sowie die Küchenuhr, deren Ticken sich oft anhört wie ein tropfender Wasserhahn. Moment, der Wasserhahn tropft doch wirklich! Es reicht! Du schwingst die Beine aus dem Bett, tappst durch die dunkle Wohnung, drehst den inkontinenten Hahn zu, wirfst noch einen prüfenden Blick in alle Zimmer und kriechst wieder unter die Decke.

Draußen wird eine Autotür zugeschlagen, ein Motor heult auf. Von oben hörst du das Getrampel der überforderten Eltern. Der gleichmäßige Atem neben dir wird nicht unterbrochen. Nicht mal durch dein Herumwälzen.

Über dir wartet die Decke, stumme Zeugin deiner Misere. Doch ehe du weitere Bekenntnisse in ihre Richtung senden kannst, zerrt die Müdigkeit wieder an deinen Augenlidern. Du gibst nach, immer bereit, beim nächsten kleinen Geräusch hochzufahren.

Gefühlte fünf Minuten später klingelt der Wecker, zwingt dich, dem Tag in sein noch friedliches, ruhiges Antlitz zu sehen. Bis später, denkst du dir, klopfst aufs Bett und wirfst einen Blick an die Zimmerdecke.

© M_Ellie_Sue 2022-07-14

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