August 2019 – Ich schaue in den Spiegel und sehe ein unsicheres und trauriges Mädchen, welches in Selbsthass zu ertrinken droht und kaum den Anblick ihres eigenen Spiegelbilds ertragen kann. Mit weiter, dunkler Kleidung versucht sie so gut es geht ihren unsportlichen, etwas molligen Körper zu verstecken, in dem sie sich schon ihr Leben lang unwohl fühlt. Ihr Ziel ist es, so unauffällig wie möglich zu bleiben, bloß keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und sich selbst stets klein zuhalten. Ihr Leben wird dadurch bestimmt, was andere Leute potenziell über sie denken und sagen könnten. Sie geht immer vom schlimmsten Szenario aus, in dem sie im Nachteil ist, egal um welche Situation es sich handelt. Sie fühlt sich missverstanden, hoffnungslos und einsam – jeden einzelnen Tag. Selbst wenn sie schreien würde, würde sie keiner hören, niemand würde erkennen, wie schlecht es ihr tatsächlich geht. Ihr Schlafzimmer ist der einzige Ort, an dem sie sich wohl und geborgen fühlt und der ihr Sicherheit gibt. Es ist sozusagen ihr persönlicher Bunker, in dem sie sich verschanzt, sobald ihr alles zu viel wird. Sie kann sich einfach nicht vorstellen, jemals einen Ausweg aus ihrem inneren Leiden zu finden. Bis sie sich eines Tages dazu entschließt, dass sie es zumindest versuchen muss.
Ich weiß zwar nicht mehr wann und wo es war, trotzdem erkannte ich, dass niemand kommen würde, um mich zu retten, nur ich selbst konnte das tun. Ich hatte es satt, tagtäglich im Selbstmitleid zu ertrinken. Ich hatte es satt, mich dauernd als ein Opfer meiner Umstände zu betrachten. Ich hatte es satt, jeden Tag nur dahinzuvegetieren und mein Leben nicht so zu nutzen, wie ich es will. Und so kam der Stein ins Rollen, sodass ich nach und nach alles an mir und meinem bisherigen Leben veränderte. Ich fing an Sport zu machen, ich stellte meine Ernährung um, änderte meinen Kleidungsstil, schnitt mir meine Haare kurz und färbte sie blond. Ich arbeitete täglich an meinem Selbstwertgefühl, begab mich so oft wie möglich aus meiner Komfortzone und konfrontierte mich bewusst mit Situationen, die mir Angst machten, einfach nur um an ihnen zu wachsen. Mein Studium brach ich ab und suchte mir stattdessen einen Vollzeit-Job im Büro. Ich lernte neue Menschen kennen, die zu Freunden wurden und ich verlor den Kontakt zu alten Freunden, die nach und nach aus meinem Leben verschwanden. Ich suchte mir Hobbys, sammelte neue Erfahrungen, probierte alles aus, worauf ich Lust hatte und erfand mich Monat für Monat neu.
August 2024 – Ich schaue in den Spiegel und sehe eine selbstbewusste und starke Frau, welche zielstrebig und voller Lebensfreude durchs Leben schreitet. Sie hat keine Angst mehr davor, von ihren Mitmenschen gesehen und wahrgenommen zu werden. Auch wenn ihr manchmal Steine in den Weg gelegt werden und sie vor Herausforderungen steht, lässt sie sich davon nicht in die Knie zwingen, sondern meistert diese mit Leichtigkeit. Was andere Leute von ihr denken und über sie sagen, ist ihr mittlerweile egal. Sie ist nicht nur glücklich mit ihrem Leben, sondern hat auch die stärkste Waffe entdeckt, die sie besitzt – die Liebe zu sich selbst.
© Katharina Schrei 2024-08-11