Lesung ins Glück – Teil 2

Michelle Weber-Risse

by Michelle Weber-Risse

Story

Das Gespräch mit Jasper McLoyd war eher einseitig. Ich könnte mich dafür ärgern. Doch es schien ihm wenig ausgemacht zu haben. Wir saßen da und aßen unseren Kuchen. Während ich den Vormittag Revue passieren ließ, stellte ich die Ankündigung für die am Abend stattfindende Lesung vor die Tür. Eigentlich brauchte ich keine Werbung zu machen. Das ganze Dorf wusste von der Krimilesung und freute sich schon seit Wochen darauf. „Hallo Jenny. Freust du dich auf heute Abend? Ich habe gehört, der Autor sei schon hier?“ Die alte Frau Winters kam aus dem Dorfladen zu mir herüber. „Frau Winters. Schön, Sie zu sehen. Sind Sie heute Abend auch dabei?“

Natürlich wusste ich die Antwort schon, schließlich hatte ich ihr die Karten verkauft. “Das wäre wundervoll, wenn Sie kommen würden.“ Ich starrte Jasper an. Woher kam er denn nur plötzlich wieder her?“ Oh, Sie müssen Herr McLoyd sein. Ich bin ein großer Fan Ihrer Bücher.” Jasper, dem das Lob unangenehm zu sein schien, räusperte sich und versuchte sich an einem Lächeln, das ihm mehr als offensichtlich nicht gelang. Doch Frau Winters ließ sich nicht davon beirren. „Unsere Jenny hier hat alles getan, um Sie hierherzuholen. Wissen Sie, in unserem Dorf passiert nicht viel. Da sind Sie schon eine kleine Sensation. Nun ja. Ich muss dann mal weiter. Tschüss Jenny, bis heute Abend.“

Mit diesen Worten stand ich Jasper wieder alleine gegenüber. Warum nur wollte mir nicht ein Wort über die Lippen kommen? Ich starrte nervös auf meine Füße und wusste nicht recht, was ich machen sollte, da sprach Jasper schon. „Soll ich Ihnen helfen, Jenny? Sie müssen doch bestimmt noch einiges für heute Abend vorbereiten?“ Das musste ich in der Tat, doch konnte ich den Gast des Abends wirklich helfen lassen, wo er doch bestimmt Wichtigeres zu tun hatte? Ich schaute ihm in seine wundervollen dunkelblauen Augen, die mir seit heute Morgen nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten und entgegen meines Kopfes hatte mein Herz längst entschieden. „Sehr gerne. Wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ „Nein, gar nicht. Ich fände es schön, Sie dadurch etwas näher kennenzulernen, Jenny.“ Seine tiefe Stimme brachte in mir etwas zum Klingen, das ich schon lange tief in mir vergraben hatte.

Um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, bat ich Jasper in meine kleine Buchhandlung. Ich zeigte ihm, wo alles stand. Zum Glück hatte ich am Abend zuvor schon einen kleinen Tisch für die Lesung sauber gemacht, doch alleine war er zu schwer. „Kommen Sie. Sie können mir helfen, den Tisch für heute Abend nach vorne zu holen“ Ich drehte mich um. Wie schaffte er es, dass ich in seiner Gegenwart nur nervös wurde? Jasper folgte mir und griff unter den kleinen Tisch, um ihn anzuheben. Dabei berührten seine Finger meine. Ich zog scharf die Luft ein. Wir sahen uns tief in die Augen. Mein Puls fing an zu rasen, doch konnte ich nichts dagegen tun. Ohne lange zu überlegen, war er bei mir, seine Hand an meiner Wange zog mich näher zu sich und plötzlich lagen seine warmen weichen Lippen auf meinen.

© Michelle Weber-Risse 2022-07-31

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