Licht im Dunkeln

Luna Day

by Luna Day

Story
Bücherei 2025

Sie traf ihn zum ersten Mal in der Dunkelheit.

Nicht in der Dunkelheit der Nacht, sondern in jener, die sich wie Nebel um die Seele legt. Liora hatte sich in die verlassene Bibliothek geflüchtet, deren Fenster seit Jahren blind waren. Die Welt draußen war laut, grell, zu viel. Hier drinnen war sie nichts – und das war gut so.

Bis er kam.

Er trat aus dem Schatten zwischen den Regalen, als wäre er selbst aus Tinte gemacht. Sein Name war Cael, und seine Stimme klang wie ein Lied, das man fast vergessen hatte. Er sprach nicht viel. Aber wenn er sprach, hörte Liora zu, als hinge ihr Herz an jedem Wort.

„Du suchst das Licht“, sagte er eines Abends, als der Regen gegen die Mauern schlug.

„Ich suche gar nichts“, antwortete sie.

„Dann hast du es vielleicht schon gefunden.“ Cael war kein Mensch. Nicht ganz. Liora wusste es, ohne es zu verstehen. Seine Augen leuchteten manchmal im Dunkeln, und wenn er sie berührte, fühlte sie sich, als würde etwas in ihr erwachen, das lange geschlafen hatte.

Er erzählte ihr von der Welt unter der Welt – von Orten, die nur Schatten kennen, und von Wesen, die sich in der Dunkelheit verlieren, wenn niemand sie ruft.

„Ich bin einer von ihnen“, sagte er. „Aber du … du bist Licht.“

Liora lachte bitter. „Ich bin zerbrochen.“

„Genau deshalb. Licht bricht sich in Rissen. Und nur wer Dunkelheit kennt, kann leuchten.“

In der letzten Nacht, bevor er ging, küsste er sie. Es war kein grober Kuss, kein stürmischer. Es war ein Versprechen. Ein Flüstern. Ein Funke.

Als sie am nächsten Morgen allein war, fand sie ein Buch auf dem Boden. Es war leer – bis auf eine Zeile:

„Wenn du mich brauchst, geh dorthin, wo kein Licht ist. Ich werde dich finden.“

Und so lernte Liora, dass Licht nicht immer hell sein muss. Manchmal ist es ein Name, ein Gefühl, ein Herz, das in der Dunkelheit schlägt – und nie ganz aufhört zu leuchten.

© Luna Day 2025-08-18

Genres
Science Fiction & Fantasy
Moods
Dunkel, Emotional
Hashtags