Es war früh am Morgen, gegen sechs Uhr. Wir saßen wie die Tauben auf der Stange, aufgereiht und zusammengepfercht im Bus Richtung Wedel. Alle begeistert, alle voller Lust auf das Leben, auf die Arbeit. Kannst du dir die Gesichter vorstellen? Der Blick aus dem Fenster zeigt sattes junges Grün, die Natur explodiert ins Leben, die Sonne geht auf und eine ganze Busladung möchte am liebsten kotzen.
Während ich darüber nachdenke, wie gerne ich meinen neuen Job mag und welches Geschenk das ist, gleitet mein Blick weiter durch den Bus. Gesichter und Köpfe sind heute kein Motivationsbooster für mich, also suche ich die Sitze ab. Und bleibe fasziniert hängen. Mir gegenüber zwei vollendet schöne Hände. Dunkler in der Hautfarbe, eher klein, eher zart, liebevoll gepflegt. Diese Hände schwingen bei der Arbeit sicher keinen Vorschlaghammer. Irgendetwas berührt mich an ihnen. Keine zwei Meter langen Fingernägel, kein Nagellack, vollkommen natürlich.
Die Dame mit diesen Händen ist top durchgestylt, elegant, Blick eher cool. Wo ist die Sonnenbrille für 855 Euro? Sie scheint zu fehlen. Und dann diese Hände, vollkommen natürlich.
Ich staune über meine eigenen Schubladen im Kopf. Wer 2cm dick Schminke aufträgt, hat auch extrem lange Fingernägel und aufgespritzte Lippen. Meine Güte, liegt es an der frühen Uhrzeit, dass ich einen solchen Schwachsinn denke? Vorurteile wie sie sinnloser und dümmer kaum sein könnten.
Bis mir ein neuer Gedanke kommt: Die Schönheit, der Zauber, die Liebe, die finden sich nicht nur an den entsprechenden Orten, wo man sie vermutet. Nun ist der morgendliche Bus nach Wedel eher kein eleganter Beauty-Salon, sondern eher das Taxi der puren Begeisterung.
Und was begegnet mir hier? Die pure Schönheit in Form zweier Hände. Einfach so. Ich muss lächeln. Und bin dankbar, woran man sich so freuen kann. Da muss nicht extra der Chef anrufen und mir eine fette Gehaltserhöhung anbieten, es braucht auch nicht der Lotto-Gewinn zu sein – es braucht nur einen kurzen Moment echter Kontraste.
Zwei Hände und mein Tag beginnt einfach schön.
© Georg Rittstieg 2025-05-06