Liebe geht durch den Magen

Nina Liestmann

by Nina Liestmann

Story

Acht Menschen, ein Raum: Dorm. Eine Unterbringung in einem Mehrbettzimmer kostet kaum etwas – außer Privatsphäre und Schlaf. Aber die penetrante Nähe zu anderen soll auch Freundschaften mit sich bringen und wollte ich nicht mehr aus mir rauskommen?

Davor stärke ich mich noch mit Street Food : Garnelen auf Reis. Es ist preiswert und lecker, trotzdem fühle ich mich unwohl – fühle mich rastlos. Wir sind bisher stets nach einem Tag wieder weitergezogen und auch in diesem Hostel wollen wir nicht lange bleiben. Ich möchte endlich ankommen, für ein paar Tage zur Ruhe kommen und die ersten Eindrücke verarbeiten. Doch Jessy und ich wissen weder wie wir zur nächsten Insel kommen, noch wo wir da unterkommen können. Diese Ungewissheit stört mich. Abenteuer hin oder her – ich möchte nirgendwo stranden und ich brauche ein Bett. Aber unsere Internetrecherche bringt uns nicht weiter. Frustriert und resigniert lege ich mich also schlafen. Allerdings bin ich die Einzige mit der Idee um 22 Uhr schlafen zu gehen. Die anderen Backpacker sind noch wach und unterhalten sich. Aber ich bin vorbereitet: Schlafmaske auf, Ohrstöpsel rein. Wogegen ich nicht vorbereitet bin, ist der Jetlag, der mich noch immer plagt. Also liege ich mitten in der Nacht da und bekomme peinlich genau jeden Toilettengang und jedes knarzende Umdrehen mit. Trotz der ganzen Menschen um mich herum fühle ich mich einsamer denn je. Unruhig liege ich da, Sorgen schwirren mir durch den Kopf. Ich wollte diese Reise unbedingt. Und jetzt möchte ich nach Hause – ich habe Heimweh. Im selben Moment, in dem ich mir das eingestehe, zieht sich mein Brustkorb zusammen. Mir schießen die Worte meines Vaters in den Kopf: „Du bist zu jung für so eine Reise.“ Hat er vielleicht recht? Mir wird übel. Meine Unterlippe fängt an zu zittern, meine Augen werden feucht. Ich möchte in Ruhe weinen und für mich sein. Aber ich bin mit sieben anderen Leuten im Raum gefangen. Mir wird wieder übel. Mein Magen verkrampft sich. Ich atme tief ein und aus. „Alles wird gut”, sage ich leise zu mir selbst und wiederhole den Satz so lange in meinem Kopf, bis ich irgendwann einschlafe.

Ich reiße die Augen auf, stürme aus dem Bett, haste zur Tür hinaus und renne zur Straße. Ich beuge mich übers Gebüsch und übergebe mich. Ich will im Erdboden versinken. Aber lange Zeit darüber nachzudenken, wie peinlich mir das ist, habe ich nicht, denn da muss ich mich schon wieder übergeben. Ich setze mich draußen auf eine Couch. Mein Baden in Selbstmitleid wird im 15-Minuten-Takt unterbrochen. Dann lauf ich wieder zum Gebüsch, lass die Übelkeit meinen Körper übernehmen und torkle wieder zurück zur Couch, um sehnsüchtig von meinem Bett zu Hause zu träumen. Die Sonne geht auf – ich bin schon längst untergegangen.

Von Heimweh und mittlerweile auch Fieber geplagt klage ich Jessy am nächsten Morgen mein Leid. Sie beugt sich über mich, in ihrem Blick liegt Mitleid: „Du hast wahrscheinlich eine Lebensmittelvergiftung von den Garnelen gestern.“

© Nina Liestmann 2022-08-31

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