Lieber Adrian,
Heute konnte ich zum ersten Mal unser Lied wieder anhören. Ich habe es nicht geskippt, und ich bin nicht zusammengebrochen. Du wärst stolz auf mich gewesen. Wenn ich es dir vorspielen würde, würdest du wahrscheinlich nicht einmal mit der Wimper zucken. Denn eigentlich war es gar nicht unser Lied. Es ist nur das Lied, das ich im Nachhinein so stark mit dir verbunden habe. Ich konnte jedes noch so dramatische Trennungs- oder Liebeslied anhören, ohne einen Funken Traurigkeit zu verspüren, aber dieser dumme Song… hat es mir jedes Mal aufs Neue angetan.
Erinnerst du dich noch daran? Es war an dem Abend als wir zu Maries Geburtstagsparty wollten. Wir hatten Jessica und Tami vorher zu uns eingeladen und fest versprochen, etwas Anständiges zum Abendessen zu servieren. Sie wollten um halb acht bei mir sein, aber natürlich hatten wir beide es geschafft, bis kurz vor sieben auf der Couch zu versacken. Ich rannte in den Supermarkt, während du nach Rezepten suchtest. Ich hatte Mühen, Belugalinsen zu finden und rief dich von der Kasse noch an. Als es ans Zubereiten kam, waren deine Kochkünste gefragt. Während ich mich anzog und fertig machte, wuselte ich immer wieder an dir vorbei durch die Küche und spielte DJ.
„Bitte mach irgendwas an, was uns wacher macht“, sagtest du leicht verzweifelt, während du die Zwiebeln schnittest. Neben dem Herd stand deine dampfende Tasse Kaffee. Ich sah das als Einladung, eine trashige 2000er Playlist anzumachen. Wir schafften es ohne große Beschwerden durch „I gotta feeling“ und „Too close“, als unser Lied spielte. Ich sehe keinen Grund warum, aber wir beide schienen den Song mehr zu mögen als alles, was davor kam, und sangen inbrünstig mit. Du sahst mich an, und irgendwie vereinte uns diese Leidenschaft, mit der wir diesen Song aus längst vergessenen Zeiten mitsangen. Deine Augen leuchteten, und ich hätte dich in diesem Moment erdrücken können. Ich gab mich aber damit zufrieden, weiter zu singen und dramatisch zu posieren. Wir strahlten beide, als der Song zu Ende ging. Irgendetwas Magisches schien passiert zu sein.
Aber vielleicht habe auch nur ich das so gesehen. Wie gesagt, ich bezweifle, dass du dich heute noch daran erinnern würdest. Aber ich habe mir den Song damals direkt heruntergeladen, und mein Herz ging immer ein klein wenig auf, wenn er kam. Bis ich ihn nicht mehr hören konnte. Bis ich jedes Mal anfing zu weinen, noch vor dem Refrain. Ich habe es versucht, wollte in den guten alten Zeiten schwelgen, aber ich konnte nicht. Bis heute. Ich hörte die ersten Noten und entschied es zu versuchen und tatsächlich. Keine Tränen, keine Wut. Nur etwas leer habe ich mich gefühlt.
Das Ganze ist wahrscheinlich nicht so weltbewegend. Aber ich wollte es irgendwo festhalten.
-Ailsa
© S. Eva Riemann 2022-06-03