Chris prüft verwundert den blauen Schaumstoff, mit dem der Fahrstuhl ausgekleidet ist. Dann betrachtet er sich in dem kleinen Stück Spiegel, das nicht abgeklebt ist. Die Frisur sitzt. Er drückt die 5 und dreht sich um. Da steht plötzlich Daniel in der Tür. Blass und kahl wie nach einer Chemo. „Was machst du denn hier?“ Sie haben sich Jahre nicht gesehen. Und das mit voller Absicht. Daniel schielt auf den leuchtenden Knopf mit der 5. „Dope holen. Wie du.“ Er lächelt, wirft einen Blick zurück ins Treppenhaus, atmet tief ein und macht einen Schritt in den Aufzug. Die Tür geht zu und sie fahren los. Die 1 leuchtet, dann die 2, die 3. Während Daniel mit einer Hand den Schaumstoff prüft, drückt er mit der anderen unauffällig zweimal gleichzeitig die untersten zwei Knöpfe. Der Aufzug bleibt stehen.
„Nicht dein scheiß Ernst“, sagt Chris. Wie einstudiert holen beide gleichzeitig ihre Handys aus den Hosentaschen. Daniel: „Kein Empfang – natürlich.“ Chris drückt auf verschiedene Knöpfe. Nichts tut sich. „Gibt’s keinen Notknopf?“ „Vielleicht abgeklebt.“ Chris zückt seinen Schlüssel und beginnt den Schaumstoff um die Armatur wegzukratzen. „Wie hart ist das Zeug bitte? Willst du vielleicht helfen? Oder bist du gerne mit mir eingesperrt?“ Daniel lacht. „Ist doch ganz nett so.“ „Beim letzten Treffen, bist du auf mich los.“ „Da kam ich aus dem Knast, in den du mich gebracht hast.“ „Du hattest drei Kilo zu Hause.“ „Wenn die Bullen zu dir gefahren wären, wie sie es vorhatten, bevor du geplappert hast, was hätten sie da gefunden?“ „Ich glaub’, hier ist kein Notknopf.“ Chris wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Daniel tastet den abgeklebten Türschlitz ab. „Wir sollten lieber zusehen, dass wir hier Luft reinbekommen.“ Chris weiß, wie sehr sich die Luft in der kurzen Zeit verschlechtert hat, schluckt seine Verzweiflung runter und macht sich mit seinem Schlüssel an den Türschlitz. „Bitter, dass du eingestiegen bist, wär sicher eine Genugtuung, mich hier eingesperrt zu sehen.“ Daniel lächelt. „Nee, ist ja kein Knast hier. Aber deswegen müssen wir springen.“ „Hä was? Wohin denn springen?“ „Hoch – damit wir abstürzen.“ „Lieber zerschellen als ersticken, oder was?“ „Nein. Werden wir nicht. Wir müssen nur nochmal hochspringen – kurz bevor wir aufschlagen. Dann brechen wir uns maximal die Beine. Ist unsere einzige Chance. Sonst ersticken wir. Ich schwör’s.“ „Alter!“ Chris prüft abermals sein Handy und tastet den Türschlitz ab, der dicht ist wie die Luke eines U-Boots. „Also gut. Und wenn wir abstürzen, wann springen wir dann hoch?“ „Sobald die 1 leuchtet. Also, auf drei!“
Schon nach dem ersten Sprung hören sie das Seil knirschen. „Klingt, als könnte es reißen.“ „Ja! Los, nochmal!“ Sie springen, das Seil ächzt. Dann noch zweimal – jedes Mal ächzt es lauter. Da holt Daniel sein Handy raus und startet eine Tonaufnahme. “Was guckst du? Es gibt kein Netz hier! Nochmal auf drei. Eins, zwei, drei.” Sie springen. “Fast. Eins, zwei, drei.” “Noch einmal.” – “Warte!”, sagt Daniel. “Ich spüre einen Luftzug.” “So ein Quatsch. Los nochmal, wir haben es gleich. Eins, zwei, drei.” Mit einem peitschenden Zing reißt das Seil. Chris schreit. Die 3 leuchtet, die 2, die 1. Chris springt. Aufprall. Ruhe.
© Moritz Sacid Polixa 2025-02-27