Lost

Tom Stieh

by Tom Stieh

Story

Meine Schritte hallen durch die gepflasterte Gasse, doch ich kann nicht fliehen. Den Griff meines Dolches fest in der Hand, wirbele ich herum und stelle mich meinen Verfolgern.

“Night Lights?”
Ich nicke.
“16 Jahre? Männlich?”
Ich nicke wieder.
“Du bist dir bewusst, weshalb wir dich festgenommen haben?”
Kurz juckt es mich in Fingern, Nein zu sagen. Einfach abzustreiten, was ich getan habe. Doch ich weiß, dass das nicht helfen würde. Nichts einfacher machen würde. Also nicke ich.
“Tätlicher Angriff auf einen Beamten der Stadtwache und Diebstahl.”
Ich senke den Blick. Ich weiß, was ich getan habe. Es war keine Absicht!
“Das sagen sie alle.”
Ich hebe den Blick wieder, sehe den jungen Mann an, der vor mir sitzt. Seine braunen Haare sind lustig gelockt und die Lachfältchen neben seinem Mund zeigen, dass er gern Spaß hat, doch jetzt gerade sieht er mir todernst in die Augen. Einen Moment später wird mir klar, dass meine Gedanken laut ausgesprochen haben muss.
“Das sagen sie alle, die hier sitzen, Night. Sie sind alle unschuldig und würden nie jemandem etwas zuleide tun. Aber”, er lächelt grimmig, “Mörder hatte ich schon lange nicht mehr.”

Ich bin allein. Festgekettet an einem Verhörstuhl. Der Beamte ist weg; geht jemanden vom Sondereinsatzkommando holen, das extra für mich angereist ist. Inspektor Wulfhart, hatte er gesagt, würde gleich kommen und die Vernehmung fortsetzen. Ich spiele ein wenig mit den Ketten herum, lasse ihre Enden herabfallen und hebe sie wieder auf, lasse sie klimpern. Natürlich haben sie mir keine Waffe dagelassen. Nichtmal eine Feder oder eine dünne Rolle Pergament, mit der ich das Schloss hätte knacken können. Keine Chance. Ich atme tief durch und schließe meine Augen, presse meine Handflächen aneinander, wie ich es gelernt habe. Meditation hilft mir fast immer, wenn ich nervös oder aufgeregt bin. Da quietscht die Tür und ich öffne ruckartig die Augen. Ein hochgewachsener, hagerer Mann steht in der Tür und starrt mich unverwandt an. Oder eher meine Handflächen, die das darunter liegende Metall der Ketten rot glühen lassen. Erschrocken ziehe ich meine Hände zurück und verstecke sie hinter meinem Rücken. Ausgerechnet jetzt. Wieso musste es mir ausgerechnet jetzt passieren? Und wieso musste er es ausgerechnet jetzt sehen? Mit angehaltenem Atem warte ich auf sein Urteil, doch der Inspektor läuft wortlos an mir vorbei und nimmt mir gegenüber auf der anderen Seite des Tisches Platz.
“Du bist also der Mörder, von dem alle reden? Siehst gar nicht aus, als ob du genügend Mumm oder Kraft hättest, um eine Stadtwache zu töten.”
Stumm funkele ich ihn an. Was will er von mir? Ist er nur gekommen, um mich zu erniedrigen?
“Nein, bin ich nicht.”
Meine Wut verpufft und verwandelt sich in Erstaunen. Diesmal habe ich ganz sicher nicht laut gesprochen, ich habe extra darauf geachtet. Wie … ?
“Unwichtig.”, erklärt der Inspektor unwirsch. Dann zieht er mit einer Hand meine Unterlagen zu sich heran, die der Beamte hat liegen lassen.
“Lights, hm? 16 Jahre?

© Tom Stieh 2023-05-11

Genres
Science Fiction & Fantasy