Es hätte 1996 ein schöner Urlaub werden sollen. England, Schottland, zusammen mit einem Kollegen und dessen Frau. Das abrupte Ende folgte bereits am ersten Tag in London, als meine Frau, den Koffer nachziehend, über eine kleine Stufe vor dem Hotelzimmer stolperte, hinfiel und sich den linken Oberarm brach!
Weil alles glimpflich ablief, beschlossen wir, ein Jahr darauf an einer Wallfahrt nach Lourdes teilzunehmen. Organisiert war die Reise von Dechant Franz Josef K.aus Zwettl. Ich war mit drei Frauen unterwegs: meine Frau und die Frauen von zwei Freunden. Die Busfahrt war zwar etwas anstrengend, doch durchaus interessant, weil man die unterschiedlichen Landschaften quer durch Österreich genießen konnte. Wir durchquerten die Schweiz, erfreuten uns an der französischen Riviera der wunderbaren Ausblicke, bis wir endlich in Lourdes ankamen. Wir logierten im Hotel Ariane, was uns besonders freute, weil eine Enkelin diesen Namen trägt!
Es war eine bunt gemischte Reisegruppe mit durchwegs angenehmen Zeitgenossen. Der Dechant ermunterte uns immer in der Früh im Bus mit kleinen Bewegungsübungen.
Rückblickend muss ich sagen, dass es unglaubliche Eindrücke dieses außergewöhnlichen Ortes gab. Schon die Messfeier an der Grotte, in der “stillen Zone”, war wegen der ungewöhnlichen Ruhe trotz der großen Anzahl an Teilnehmern beeindruckend. Es war ein Herabkommen, ein Hereinlassen von Ruhe, ein Zu-sich-selber Finden! Auch die Teilnahme an den Lichterprozessionen mit den Gesängen und Gebeten hinterließ schöne Erinnerungen. Als wir wegen unserer rot-weiß-roten Bänder als Österreicher erkannt wurden, erhielten wir die für die Prozession erforderlichen Laternen geschenkt!
Als der Herr Dechant plötzlich wegen einer starken Verkühlung die Stimme verlor, ersuchte er meine Frau und mich, beim Kreuzweg die Lesungen zu übernehmen. Es war ein ruhiger Morgen, ungewöhnlich stimmungsvoll, wie die goldenen Statuen in der aufgehenden Sonne plötzlich zu glänzen begannen! Beeindruckend war auch die Begegnung mit behinderten Menschen im Rollstuhl. Ein junges Mädchen, das uns im Vorbeifahren mit einem glücklichen Lächeln anstrahlte, als ob sie gerade geheilt worden wäre! Unvergesslich!
Meine drei Frauen stiegen in das kalte Becken der Heilquelle, während ich, drei Handtaschen umgehängt, heraußen wartete. Ich fotografierte inzwischen zwei Klosterschwestern, die, den Rock hochgezogen, ihre Füße im Gave de Pau wuschen. Und es passierte etwas Mystisches. Ich fotografierte eine zugeschnittene Platane, die wie ein Kreuz aussah. Alle 36 Dias waren korrekt abgebildet, nur dieses Foto von der Platane war dunkel und der Baum schwach als bleiches Gebilde zu erkennen! So, als ob ich das nicht fotografieren hätte sollen!
Man mag zu diesen Wallfahrtsorten stehen, wie man will, aber ich habe noch selten so viele glückliche , hoffnungsvolle Menschen gesehen, wie in Lourdes!
© Hannes Zeisler 2020-11-20