Weg 4: Love yourself

Annika Höller

by Annika Höller

Story

Ich bin auf dem Rückweg. Vom Pleschinger See zurück zum Linzer Hauptplatz. Es ist die zweite Hälfte dieses Stadtwanderweges direkt an der Donau mit Blick auf das Industriegelände und den Hafen. Welches das bevorzugte Ufer der Linzer ist, das kann ich als Mühlviertlerin nicht beurteilen. Ich mag beide Seiten. Sowohl die Wiesenflächen vom Lentos Kunstmuseum bis zum Winterhafen mit Fernsicht bis zum Pöstlingberg, als auch die Promenade mit dem Skaterpark, den Bäumen und dem Blick auf das Zentrum auf der anderen Seite.

So geht es mir mit vielem. Bin ich draußen in der Natur, mit der Kamera in der Hand und den Wanderschuhen an den Füßen, finde ich selten etwas wirklich hässlich. Auch heruntergekommene Beisln haben für mich Charme, genauso wie verlassene Häuser oder verwilderte Gärten. Ich bleibe auch regelmäßig an Laternenmasten, Bushaltestellen oder an Hauswänden hängen, die mit allerlei Stickern beklebt sind oder mit Graffiti besprüht wurden. Oft sagen diese Sprüche, Logos und Grafiken viel über das jeweilige Viertel aus. Vor allem in fremden Ländern liebe ich es, diese kleinen Texte und Bilder zu inspizieren und vermeintlich verborgene Botschaften zu entschlüsseln. Beim Stiegenaufgang zum Ars Electronica Center prangt zum Beispiel der Schriftzug „Love yourself“ in geschwungenen, schwarzen Lettern. Den habe ich gerade vorhin erst entdeckt und fotografiert. Ein Appell, den ich mir zu Herzen nehmen sollte.

Liebe liegt auch hier am Ufer in der Luft, als ich bei einer der vielen Buchten vorbeikomme. Manche davon sind ein bisschen versteckt. Zwischen Sträuchern und Bäumen. Andere sind zugänglicher und einsichtiger. Die kleinen Plattformen ragen ein Stück weit in den Fluss hinein. Dieser umspült sie entweder ganz sanft mit seinen Wellen oder lässt das Wasser mit voller Wucht dagegenprallen. Je nach Strömung. Je nach Wind. Je nach Stimmung. Was sich liebt, das neckt sich. Womit wir wieder bei der Liebe wären. Deren Zauber lässt die Luft knistern, als ich ein Pärchen auf einer dieser kleinen Plattformen sitzen sehe. Ganz vorne. Dicht aneinandergeschmiegt. Er trägt eine dunkle Jacke. Die Kapuze über den Kopf gezogen. Ihr Kopf lehnt an seiner Schulter, während der Wind mit ihren Haaren spielt. Direkt vor mir stehen ihre beiden Fahrräder, mit denen sie wohl heute zu ihrem Platz an der Sonne gefahren sind.

Ich bleibe eine Weile stehen, weil mich dieses Bild fasziniert, geradezu elektrisiert. Wie lange ist es her, dass ich mit jemandem an so einem Ort gesessen bin? Viele Jahre, nein, ich kann mich gar nicht erinnern, überhaupt jemals mit einem meiner Exfreunde so an einem Fluss gesessen zu haben wie die beiden. So innig. So verträumt. Und in mir kommen wieder einmal Zweifel hoch. Zweifel an mir und meiner Persönlichkeit. Dieser verkorksten Persönlichkeit.

Ich ziehe weiter, lasse bald die letzten Bäume und Sträucher hinter mir und trete wieder auf Asphalt. „Love yourself“ prangt da plötzlich vor mir. Danke Linz, ich versuch es.

© Annika Höller 2021-05-25