Damals, 1968, gab es noch Maikäfer. Es gab mehr als genug davon, auf jeden Fall mehr, als mir lieb war. Wenn ich am Abend vor die Haustüre ging, umschwirrten sie mich in einer Dichte, dass ich die Bäume nur durch einen flirrenden Vorhang sah. Die Käfer waren eine solche Plage, dass die Gemeinde Sammelplätze organisierte, wo man eingesammelte Maikäfer gegen eine Prämie abgeben konnte. Die Prämie für Kinder war ein Sackerl mit Süßigkeiten. Die beste Sammelzeit war der frühe Morgen, denn da waren die Maikäfer langsam und starr von der nächtlichen Kühle und konnten ganz leicht von den Ästen in einen Kübel geschüttelt und gegen das Zuckerl Sackerl getauscht werden.
Ich ging gerade in die Volksschule und mein absoluter Horror waren ein paar böse Buben aus meiner Klasse, die uns anderen damit drohten, uns zu verfolgen und zu schlagen. Es wurden auch schlimme Geschichten über sie erzählt und so war ich jeden Tag froh, wenn ich nach der Schule ohne ihre Verfolgung zu Hause ankam. Als dann auch noch der Mai mit den großen braunen Käfern kam, die auf mir landeten und sich wie mit klebrigen Beinen an mir festhielten, wurde es mir zu viel und ich blieb in der Abenddämmerung im Haus.
Für einen dieser Morgen kündigte meine Lehrerin das Thema Maikäfer an, samt einer näheren Betrachtung desselben. Mein plötzlicher Fieberanfall wurde von meiner Mutter messerscharf als das diagnostiziert, was wir heute „Fake“ nennen, und ich musste in die Schule. Dort waren alle aufgeregt und ich sah die vielen kleinen Schachteln, denn jeder hatte Maikäfer mitbringen dürfen, aber keiner mehr als fünf. Dann kam, was kommen musste: Die Käfer hatten alle Zeit gehabt, sich aufzuwärmen und waren deshalb topfit, als die Schachteln geöffnet werden durften. Sie flogen durch die Klasse und der eine oder andere natürlich auch auf mich zu. Ich saß wie gelähmt in meiner Bank und bekam keinen Ton heraus. Tot stellen, dachte ich mir, hilft vielleicht. Es half nicht, denn einer der Käfer landete auf meinem Kopf. Ich hörte ihn, ich spürte ihn, er war mein zum Leben erwachter Alptraum. Mein Schreckensschrei muss so durchdringend gewesen sein, dass meine Mitschüler verstummten und er ebbte erst ab, als meine Lehrerin mir den Käfer aus dem Haar zog und mich aus der Klasse hinausführte. Dort durfte ich warten bis alle Maikäfer wieder eingefangen waren. Als ich mich wieder auf meinen Platz setzte, murmelte ich vor mich hin: „Aber vor den bösen Buben habe ich trotzdem keine Angst.“
© Barbara Slamanig-Pfund 2020-05-06